: Kunden auf Tauchstation
■ Gestern setzte in den Warenhäusern der Run auf die Sonderangebote ein/ Verbraucherzentrale: »Schlußverkauf wird immer mehr zur Farce«
Mitte. »Das Erlebnishaus — vom 27. Juli bis zum 8. August Sommerschlußverkauf«, heißt es auf einem riesigen Transparent, das die Fassade des Kaufhofs auf dem Alexanderplatz ziert. Führwahr: Der Streifzug durch das Warenhaus dieser Tage ist ein Erlebnis! Unter den groß ausgeschilderten Sonderangeboten sieht man junge und alte Frauen in der buntbedruckten Bettwäsche bis zum Grund des Grabbeltischs tauchen. Nebenan kämpft sich das männliche Geschlecht durch preisgünstige Lederjacken und bringt die meterhohen Stapel dabei fast zum Einsturz. Im ersten Stock stehen mit Röcken und Blusen bepackte Frauen vor den Umkleidekabinen wie in alten Zeiten Schlange. Im Hintergrund plärren Kinder, toben Ehemänner, und über allem liegt ein leichter Geruch von Schweiß. Im Gedränge auf der Rolltreppe schlägt einem alle paar Minuten eine vollgepackte Einkaufstüte um die Ohren oder ein Ellenbogen in den Rücken. Eine Entschuldigung ist so wenig zu hören wie ein freundliches, entspanntes Gesicht zu sehen.
In den oberen Etagen herrscht bei den Sonderposten der »aktiven Joggingschuhe« für zehn Mark und den multifunktionalen Sport- und Freizeitanzügen bedrohliche Enge. Ein Ehepaar gerät sich bei der Frage: 100 Prozent Polyamid oder 100 Prozent Baumwolle? fast in die Haare, während eine Stimme aus dem Lautsprecher flötet: »Sommerschlußverkauf. Da ist der niedrigste Preis der höchste.« Das Restaurant, wo es Schnitzel mit Gemüse nach Leipziger Art gibt, wirkt dagegen wie eine Oase. Doch trotz eines erfrischenden Luftzugs durch die geöffneten Fenster will auch hier keine rechte Entspannung aufkommen. Eine beleibte Frau schaufelt das Essen fast ohne zu kauen in sich hinein. Nebenan verschluckt sich ein Mann am Hühnerfrikassee, eine Rentnerin umklammert beim Kaffeetrinken fest ihre Handtasche und guckt ständig ängstlich nach Taschendieben.
Die meisten Kunden, die die taz nach dem Einkauf auf dem Alexanderplatz befragte, bestätigten: Der Sommerschlußverkauf ist ein Erlebnis. Die einen sprachen von einem »Alptraum«, die anderen von einem »Greuel«. Wieder andere schwärmten davon, wie schön es sei, stundenlang zu wühlen, und das alles so billig sei. Die Verbraucherzentrale, die die Sonderangebote in den Kaufhäusern unter die Lupe nahm, ist da jedoch anderer Meinung. Der Schlußverkauf, so hieß es, entpuppe sich mehr und mehr als »Farce«, da er schon Wochen vor dem offiziellen Beginn starte. Eine Stichprobe in Steglitz und Mitte habe ergeben, daß von 92 untersuchten Artikeln nur 15 nochmals reduziert worden seien. plu
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