piwik no script img

Überkreuzende Liebe

■ »Unidentifizierte Leichenteile & das wahre Wesen der Liebe« im ÜbÜ-Theater

Der Titel hatte einen blutigen Schocker versprochen. Aber nicht um »unidentifizierte Leichenteile« geht es in Brad Frasers Stück, das am vergangenen Freitag als deutsche Erstaufführung im ÜbÜ-Theater Premiere hatte, sondern um die Quälerei der Liebe, die sechs Figuren aus dem Klischee-Arsenal der Größstädte in einigen halb grellen, halb realistischen Varianten vorführen. Die Frauenmorde, von denen immer wieder erzählt wird und die, wie man am Ende erfährt, einer der Stadtneurotiker sozusagen als Fortsetzung des tristen Sexuallebens verübt, sind nicht mehr als ein blutiges Accessoire. Der kanadische Autor, der hier erstsmals auf deutsch gespielt wird, sieht im Serienkiller the perfect metaphor for the possibility of pain and hurt and ultimately death from people you don't know... a lot of people do horrible things to one another in the name of love.

Zum Glück ist sein Stück nicht so platt, wie diese Erkenntnis befürchten ließe: Die sich überkreuzenden Liebesgeschichten sind raffiniert und gelegentlich verwirrend ineinander montiert, sichtbar wird ein Geflecht aus Autismus, anonymem Fünf-Minuten-Sex, kitschiger Sehnsucht nach der großen Liebe und schlecht überspielter Einsamkeit. Weit weniger raffiniert als die Dramaturgie ist die Charakterzeichnung des Stücks und der Inszenierung: Da gibt es den coolen und illusionslosen Schwulen David (David Wilms) und Kane (Andreas Stadler), den rührend naiven Anfänger vor dem Coming- out (»Ich finde Schwule cool, aber ich bin nicht so, glaube ich«). Davids Jugendfreund Bernie (Rainer Reiners) entflieht seiner Ehe durch permanente one-night-stands und bedient mit seiner Beziehung zu David selbstverständlich das Klischee der großen, latent schwulen Männerfreundschaft. Schließlich ist da noch Davids Mitbewohnerin Candy (Silvia Rachor), die es erst mit der Lesbe Jerri (S. Xenia Fitzner) und dann mit einem ziemlich unbeholfenen Barkeeper (Arne Rehbein) versucht und doch nur bei der Erkenntnis der eigenen Liebesunfähigkeit landet: Es sind allesamt Gestalten, die man schon in den ersten Minuten restlos durchschaut, keine vielschichtigen Charaktere, sondern sauber ausgestanzte Typen. Einzig die Domina Benita (Andreja Schneider) ragt aus diesem Typen-Panoptikum heraus: Sie wirkt wie ein einmontierter Fremdkörper, der den Liebestango durch zynische, blutige Witze kommentiert und durchbricht. Unverkennbar sind die erfrischend sadistische Freude und der lustvoll ausgespielte Unterhaltungswert der ekelhaften Geschichte, die sie erzählt.

Der Regisseur und Übersetzer Donald Berkenhoff, Kopf der Gruppe »Stücke für die Großstadt«, inszeniert das Stück mit den Mitteln des Boulevardtheaters: Die Figuren sind zwar eindimensional, aber deutlich gezeichnet. Die Inszenierung setzt auf Tempo und präzise Pointen. Es gelingt, die nicht gerade seltenen Sentimentalitäten durch trockenen Humor aufzufangen, und selbst wenn die Inszenierung mit den abgedroschensten Boulevardgags daherkommt — etwa wenn Candy und Jerri den Beziehungskrach mit ins Gesicht geschmierten Negerküssen austragen —, ist das nicht peinlich, sondern professionell servierte Abendunterhaltung. Das gleiche gilt für die Schauspieler: Platt, aber professionell, klischeegesättigt, aber witzig und von einiger Vitalität. Auffallend sind einzig David Wilms (der mit seiner Figur einiges gemeinsam zu haben scheint), Arne Rehbein als wunderbar verklemmter, hilfloser Romantiker, und Andreja Schneider, die ihr Spiel immer wieder zu einer seltsamen Soloperformance macht. P. Laudenbach

Brad Fraser: »Unidentifizierte Leichenteile«, gespielt von »Stücke für die Großstadt« im ÜbÜ-Theater, 31.7., 7.-11.8., 14.-18.8.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen