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PRESS-SCHLAGButterfahrt für die Medien

■ Bei Olympia bitten die Sponsoren mit sportiven Lockvögeln zur Verkaufs-Pressekonferenz

Was bringt 300 Journalisten dazu, sich bei 35 Grad Celsius in einen für 50 Menschen ausgelegten Raum zu zwängen und dort 30 Minuten lang still zu schwitzen? Die Neugier nach einem Mann: Carl Lewis, dem Superstar der Leichtathletik. Dann endlich gesellt sich dieser zur dampfenden Gemeinschaft. Doch zu früh gefreut: Weitere fünfzehn feuchte Minuten vergehen, ohne daß der König spricht. Solange lauschen die bereits übelriechenden Medienvertreter den Ausführungen eines Schuhfabrikanten, der ausführlich auf japanisch die Vorteile des Carl- Lewis-Treters anpreist. Erst wenn alle Anwesenden die Eigenheiten der Lewisschen Fußstellung fehlerfrei wiederholen können, gibt es die Nachspeise: Ein paar Worte mit dem Besitzer der Füße über deren aktuelle Funktionsfähigkeit, mit Schuh, versteht sich.

Schnitt.

Das Kino Palacio Balana nahe dem Hauptbahnhof Barcelona. In Riesenlettern leuchtet die Ankündigung. Heute: „Jordan/Bubka, die Könige der Luft“. Rund 500 Journalisten, Fotografen und 30 Kamerateams sitzen vor einem Werbevideo. Nach zehn Minuten ist Schluß, es wird geklatscht wie bei einer echten Kinopremiere. Das Licht geht an, ein als Marketing- Manager getarntes Honigkuchenpferd strahlt: „Willkommen, sehr verehrte Medienvertreter, bei der Nike-Familie.“ Der Zuschauer grüßt freundlich zurück, denn er weiß, er bekommt außer dem schönen Block noch eine zweite Belohnung. Zwei Unantastbare werden präsentiert: Sergej Bubka, der Meister im Stabhochsprung, und der Gott des Basketball, Michael Jordan vom US-Dream-Team.

Das ganze Szenario nennt sich Pressekonferenz, in Anlehnung an eine längst veraltete Form, bei der sich einst Sportler und Journalisten unter den Fittichen des Verbandes zum Fragespiel trafen. Ein überholtes Modell, seit Profis und Profit Olympia beherrschen und nicht mehr die Funktionäre, sondern die Geldgeber die Macht haben über die Athleten. So lautet die moderne Version der Pressekonferenz: Sponsoreneinladungen mit Lockvögeln. Man darf sich das vorstellen wie eine Art Butterfahrt für Journalisten. Statt der Rheumadecken wird Equipment feilgeboten. Flüchten kann keiner, schließlich wird ein Glamour-Star erwartet.

Doch wer erhellende Antworten erwartet, wird bitter enttäuscht. Den Marketing-Direktor im Nacken, ziehen die Vertragsschuhträger eine durchgestylte PR-Show ab. Kein böses Thema darf die Harmonie der Nike-Familie stören. Fragen, zu denen die Antwort nicht geübt wurde, bleiben unbeantwortet. „Stimmt es, daß sie sich von ihren Kollegen fernhalten?“ Bubka: „Ich springe immer höher.“

So blickt der Schreiber am Ende des PR-Events auf seinen Block und liest: „Ich bin hier, um Gold zu holen“ (Lewis). Oder: „Die Staffelnominierung entscheidet der Cheftrainer“ (Lewis). „Mein einziger Feind ist die Höhe“ (Bubka, seit Jahren konkurrenzlos). „Wir können noch besser werden“ (Kanon Bubka-Jordan). „Ich will hier Weltrekord springen“ (Bubka, der dies ständig tut). Nichts Neues, das aber witzig verpackt, liefert der mediengewiefte „Air“ Jordan. Da kommt schon mal ein zitierfähiger Satz, etwa: „Ich lebe in Chicago, nicht in der Luft.“

Der Journalist atmet auf. Eifrig kratzt der Griffel übers Papier. Immerhin, ein paar kernige Sprüche, wir wollen nicht undankbar sein. Eine andere Chance, an die Stars ranzukommen, gibt es eben nicht. Und die Welt wartet auf die Worte aus begnadeten Mündern. Schließlich ist egal, was gesagt wird. Was zählt, ist das Show-Ereignis als solches. So wandelt sich ein Un-Ereignis allein durch seine Inszenierung zur Nachricht. Und die Initiatoren, oftmals eng verflochten mit Nachrichtenagenturen und Hochglanzblättern, jubilieren, denn sie können sicher sein: Der Firmenname läuft über die Ticker direkt ins Blatt.

Noch kostet eine solche Starpräsentation keinen Eintritt, zum Glück, doch die Weichen sind gestellt. So ist Eile geboten, und hurtig packt der Medienmensch den neuen Block ein, und auf geht's, zur nächsten Butterfahrt. Michaela Schießl (Barcelona)

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