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Nicht Opfer, nicht Täter

Somalia — Überlebensimpressionen aus einem zerstörten Land  ■ AUS MOGADISCHU BETTINA GAUS

Wir sind immer noch stolz darauf, Somalis zu sein!“ Trotzig stößt Adam Omar den Satz hervor, so, als wolle er jeden Zweifel oder gar Widerspruch im Keim ersticken. In seinem früheren Leben, vor dem blutigen Bürgerkrieg, hätte ohnehin niemand seinen Stolz in Zweifel gezogen. Adam Omar gehörte als wohlhabender und erfolgreicher Geschäftsmann zur Oberschicht Mogadischus. Heute arbeitet er in der Verwaltung von SAS, einer der wenigen somalischen Hilfsorganisationen, die sich gebildet haben, um die Not der Bevölkerung zu lindern.

Im März, unmittelbar nachdem in der somalischen Hauptstadt der Waffenstillstand zwischen verfeindeten Fraktionen in Kraft getreten war, begann SAS, den Dreck wegzuräumen — im wörtlichen Sinne. „Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt: Wo anfangen? Und dann haben wir uns entschieden, mit der Abfallbeseitigung zu beginnen.“ Große Holzkisten für Eselskarren wurden gebaut. „Da kamen dann auch schon Leute, die fragten, ob wir Arbeit für sie hätten.“ Zwanzig Männer und Frauen erhielten Schubkarren und begannen, in einem Teil des Stadtviertels Medina die Straßen zu fegen. 15.000 Schilling bekamen sie dafür am Tag, umgerechnet etwa zwei Dollar; immerhin genug, um zu überleben. Die gemieteten Eselskarren transportierten den Abfall dann auf eine nahegelegene Müllhalde.

Woher kam das Geld für die Aktion? Adam Omar und sein Kollege Hassan Ahmed, ein ehemaliger Bankier, lächeln müde. „Wir sind noch immer ziemlich wohlhabend“, erklärt Hassan Ahmed. Seine Familie hat er im Ausland in Sicherheit gebracht. Warum ist er geblieben? „Wir hatten das Gefühl, es sei unsere Pflicht zu helfen. Wir haben auch früher, im Frieden, schon Hilfsprojekte bezahlt, damals vor allem im Schulbereich.“

Es gibt noch mehr Somalis, die freiwillig in Mogadischu leben, obwohl sie anderswo eine sichere Zuflucht hätten. Einige Wissenschaftler der längst geschlossenen Universität von Mogadischu treffen sich regelmäßig zum Meinungsaustausch: „Wir versuchen, Intellektuelle zusammenzubringen und Lösungen für die Probleme zu finden“, sagt Lechar Weheliye. „Unsere Vorschläge diskutieren wir dann mit Politikern, Clan-Ältesten und religiösen Gruppen.“ Der Wirtschaftswissenschaftler ist in Berlin verheiratet und erzählt, daß er vor einem Jahr freiwillig aus Deutschland nach Somalia zurückgekehrt ist. „Wenn die geistige Elite erst einmal vollständig abgewandert ist, dann läßt sich die Situation vielleicht nicht mehr umkehren“, gibt sein Kollege Professor Ahmed Warfa als Grund dafür an, hiergeblieben zu sein.

Dem seit Ausbruch des Bürgerkriegs im Ausland vorherrschenden Bild, in dem Somalis entweder als hungernde Opfer oder als blutdürstige, korrupte Täter gezeichnet sind, entsprechen diese Beispiele nicht. „Nicht alle Somalis sind unehrlich“, bricht es aus Adam Omar von SAS heraus, der, wie auch seine Kollegen schon öfter, die Erfahrung gemacht hat, von Mitarbeitern internationaler Organisationen als potentieller Betrüger behandelt zu werden. „Wir können es den Ausländern nicht einmal vorwerfen. Sie treffen auf viele Gauner. Aber es verletzt.“ Seit Beginn des Bürgerkriegs sind Raubzüge und Plünderungen in Mogadischu an der Tagesordnung. Ein großer Teil der internationalen Nahrungsmittelhilfe gelangt niemals zu den Hungernden, weil organisierte Banden die kostbaren Kartons voller Weizen, Reis und Öl stehlen. Nach eineinhalb Jahren Krieg gibt es keine Institution mehr, die sie daran hindern könnte: Polizei und Gerichtsbarkeit als regelnde Instanzen gehören der Vergangenheit an.

Es herrscht Anarchie — aber der einzelne Somali lebt dennoch nicht ohne Bindung inmitten des Chaos. Er ist dem eigenen Clan, Unterclan oder auch nur seiner Großfamilie verpflichtet. „Wenn die Gesellschaft zusammenbricht, dann wird der Teufel zum Helden, weil er für den eigenen Clan stiehlt“, meint Adam Omar. Einigen Somalis ist es gelungen, sich dem Kreislauf der Gewalt zu entziehen. Am Stadtrand Mogadischus liegt eine einstmals von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) betriebene Gewerbeschule. 52 somalische Angestellte leben mit ihren Familien auf dem Gelände. Seit Kriegsausbruch konnten sie sich alle Plünderer vom Hals halten. „Wir gehören alle verschiedenen Clans an“, berichtet der Mechaniker Mohamud Mohammed Mohamud. „Wenn Räuber kamen, haben wir von uns diejenigen vorgeschickt, die zum selben Clan wie die Banditen gehörten. Fast immer ist es gelungen, die Gegenseite davon zu überzeugen, daß diese Schule der ganzen Nation dient, und die Räuber sind wieder abgezogen. Ganz selten mußten wir Warnschüsse abgeben.“

Die Schule liegt heute wie eine Oase in einer Wüste aus zerstörten, geplünderten Ruinen. Drehmaschinen, Hobel, Fräser, ein Sauerstoffgenerator und teure elektronische Prüfgeräte stehen unversehrt in den riesigen Hallen. Sogar die Unterlagen des vergangenen Jahres sind sorgfältig im Büro archiviert. „Wir könnten morgen wieder anfangen“, meint Mohamud. Aber wer würde hier, in Mogadischu, schon ein langfristiges Projekt beginnen, solange es keine Verwaltung, keine international anerkannte Regierung und keine Gewißheit darüber gibt, daß die Kämpfe nicht erneut ausbrechen?

Die internationalen Organisationen beschränken sich auf humanitäre Hilfe. Die tut bitter not: Einer Untersuchung des Roten Kreuzes zufolge ist die Hälfte der rund sieben Millionen Einwohner Somalias vom Hungertod bedroht. Solange die Wirtschaft keine Impulse bekommt und Bauern aus Angst vor neuen Gefechten nicht wagen, ihre Felder zu bestellen, wird sich daran kaum etwas ändern. Dabei gibt es in Mogadischu zaghafte Ansätze einer Rückkehr zu normalem Leben: Private Kleinlastwagen dienen als öffentliche Verkehrsmittel; Frauen bieten Grapefruits, Spaghetti und Tee auf einem Markt feil, auf dem es auch sonst fast alles zu kaufen gibt — viele Güter stammen aus lukrativen Raubzügen. Es gibt Ausländer, die verächtlich die „Diebesmentalität“ der Somalis anprangern und im nächsten Atemzug stolz berichten, es sei ihnen gelungen, einen Computer für nur 300 Dollar zu erwerben, „brandneu, absolut Spitze“.

Was in der somalischen Wirtschaft derzeit läuft, ist vom Ausland her ins Rollen gebracht worden — freiwillig und unfreiwillig. Beim Großhändler Abdirsak Adam Muhammed lagern Kartons, die aus einer saudischen Hilfslieferung stammen. Fragen, wie sie dahin gekommen seien, sind ihm unbehaglich. Die gehörten ihm nicht, ein Kunde habe sie hier gegen Lagergebühr untergebracht. Seit im März der Waffenstillstand in Kraft trat, hat internationale Nahrungsmittelhilfe die Marktpreise abstürzen lassen: Früher konnte der Großhändler 50 Kilo Reis für 300.000 Schilling verkaufen, jetzt bringen sie nur noch 140.000.

Das hilft Kunden, die noch über Bargeld verfügen, und auch anderen Geschäftsleuten. Gegenüber von Abdirsaks Lager hat Hussein Ali Gutaleh ein Restaurant gebaut, aus Sperrholzplatten, angrenzend an das Haus seiner Tante. Spaghetti oder Lamm bietet er für 4.000 Schilling an — etwa einen halben Dollar. „Je länger der Waffenstillstand hält, desto mehr Leute kommen.“ Im März hat er eröffnet. Davor war er arbeitslos. Und noch früher? Schweigen. Dann: „Ich war Soldat unter Siad Barre.“ Gefolgsleute des gestürzten Diktators schreien ihre Vergangenheit nicht auf dem Marktplatz heraus.

Wer sich in Mogadischu heute ohne Waffengewalt durch das Leben schlägt, ist meist sein eigener Chef. Die Arbeitgeber der wenigen Angestellten sind fast ausschließlich internationale Hilfsorganisationen. Auf höchstens fünf Prozent der Bevölkerung schätzt Walid Musa vom Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP) die Zahl derer, die in der Hauptstadt über ein einigermaßen gesichertes Einkommen verfügen. Seine Organisation beschäftigt die meisten somalischen Angestellten in Mogadischu: UNDP finanziert jetzt die Arbeit des somalischen SAS und ist außerdem für die Wasserversorgung zuständig. Mehr als 400 Somalis bekommen für ihre Arbeit in diesem Bereich umgerechnet zwischen 200 und 500 Dollar monatlich — ein wirkliches Gehalt, nicht nur eine nominelle Anerkennung. Aber der Arbeit von UNDP sind Grenzen gesetzt. „Wenn ich 350.000 Liter Diesel im Monat hätte, könnte ich die Wasserversorgung sofort auf das Niveau der Zeit vor dem Bürgerkrieg bringen“, sagt Projektleiter Arthur Klauck. Aber die EG finanziert für UNDP nur 100.000 Liter im Monat, getreu dem Grundsatz, daß humanitäre Nothilfe nur eine Grundversorgung sicherstellen soll.

So muß die Bevölkerung Mogadischus derzeit mit 20 Prozent des Wassers auskommen, das ihr vor dem Krieg zu den Zeiten Siad Barres zur Verfügung stand. Eine noch so verbrecherische, diktatorische Regierung scheint in den Augen der internationalen Geldgeber immer noch besser zu sein als gar keine.

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