piwik no script img

Au Backe! Akkordschleifer im Streik

Im Rheinland haben gestern etwa 3.000 Zahnärzte gestreikt/ Ihre Protestaktion rief einen Sturm der Entrüstung bei Parteien, Gewerkschaften und Verbänden hervor/ Arbeitsniederlegung blieb folgenlos  ■ Von Claus Christian Malzahn

Berlin (taz) — Die unbeliebteste Berufsgruppe Deutschlands hat gestern mit einer Streikaktion dazu beigetragen, ihr angeschlagenes Image noch weiter zu verschlechtern: Rund 3.000 Zahnärzte des Rheinlandes legten am Montag Bohrer und Spritze nieder, um gegen die Reformpläne von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) zu protestieren. Statt Solidarität ernteten die Streikenden aber nur Hohn und Spott, wurden heftig beschimpft. Das sei ein „Streik der Millionäre“, empörte sich die DGB-Vizechefin Engelen-Kefer. Für das Jammern der Zahnärzte fehle ihr jedes Verständnis: „Die Mediziner suchen jetzt die Patienten als Bündnispartner, denen sie sonst das Geld aus der Tasche ziehen wollen.“ Patientenschutzorganisationen sowie Politiker aus CDU und SPD hatten die Arbeitsniederlegung als „frech“ und „rechtswidrig“ bezeichnet.

Die Zahnklempner halten Seehofers Gesetzentwurf für aggressiver als jeden Kariesbazillus: Danach soll die Vergütung für Zahnersatz um 20 Prozent gesenkt, die Honorare in den kommenden drei Jahren an die allgemeine Einkommensentwicklung gekoppelt werden. „Ruinöse Honorarkürzungen“ befürchten nun Standesvertreter, der Jammerei wollte trotzdem niemand glauben.

Das Mißtrauen des Volkes gegen diese Berufsgruppe hat in Deutschland Tradition. „Lügen wie ein Zahnreißer“ war vor hundert Jahren noch eine gebräuchliche Redewendung — damals verdingten sich die Dentisten noch auf den Jahrmärkten.

„Dieser Streik ist makaber!“ wetterte der Vorsitzende des Deutschen Patientenschutzbundes, Gerd Weituschat: In einer Situation, in der die Gesundheitsvorsorge durch Kostenexplosion gefährdet sei, müßten auch die Zahnärzte zur Kostendämpfung beitragen. Die Brückenbauer und Akkordschleifer gehören ohnehin zu einer der bestverdienenden Berufsgruppen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Zahnarztes liegt nach offiziellen Angaben bei etwa 170.000 Mark. In dieser von Berufsverbänden herausgegebenen Statistik sind aber auch die Einkommen von älteren Medizinern enthalten, die nur noch dann und wann zu Amalgan und Spritze greifen. Ein Zahnarzt, der normalen Dienst versieht, kommt, so schätzen Experten, auf mindestens eine halbe Million Mark pro Jahr.

Der Streik im Rheinland blieb gestern folgenlos: Menschen mit dicker Backe und tränenden Augen wurden von Notärzten behandelt; die Termine der übrigen Patienten wurden verlegt. Ärztestreiks haben in der Geschichte noch nie dazu geführt, daß Patienten sich mit den Doktoren solidarisch erklärten: Als die Ärzte vor einem Jahrzehnt in Belgien und Israel Skalpells und Tupfer fallenließen, sank in den Ländern während dieser Zeit die Sterberate um 20 Prozent. Das Vertrauen in die Götter in Weiß war hernach doppelt erschüttert. Daß der Streik im Rheinland zu einem Leidensdruck in der Bevölkerung führt, ist ebenfalls kaum anzunehmen — wer geht schon gerne freiwillig zum Zahnarzt? Schon Eugen Roth dichtete: „Wir säßen lieber in den Nesseln/ als auf den wohlverchromten Sesseln/ vor denen sauber und vernickelt/ der Zahnarzt seine Kunst entwickelt.“

Außer dem „Freien Verband Deutscher Zahnärzte“ unterstützte gestern niemand die Aktion. Als „üble Demagogie“ bezeichnete ein Sprecher der IG Metall die Äußerungen der Ärzteschaft. Bei ihrem hohen Einkommen grenze dieses Verhalten an Erpressung, sagte IG-Metall- Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner. Opposition und Regierung in Bonn scheinen hier an einem Strang zu ziehen: Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Klaus Kirschner, forderte Seehofer gestern gar auf, dem „rechtswidrigen Streik einen Riegel vorzuschieben“. Der Minister wandte sich gestern noch einmal mit einem Angebot an seine Kritiker. Die Zahnmediziner sollten sich an Gesprächen über die Ausgestaltung einzelner Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen beteiligen. Statt Argumente und Alternativen zur Diskussion zu stellen, trügen sie ihren Widerstand als einzige Berufsgruppe des Gesundheitswesens auf dem Rücken der Patienten aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen