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Den Blick für West-Langzeitarbeitslose verloren

■ Die Arbeitslosigkeit ist in Westberlin nicht sehr viel niedriger als im Ostteil der Hauptstadt

Die Arbeitslosigkeit ist in Westberlin nicht sehr viel niedriger als in Ostberlin, wenn man die Zahlen im Detail betrachtet. In Westberlin leben 2.157.000 Menschen, von denen im Juni 1992 laut Landesarbeitsamt 108.500 arbeitslos gemeldet waren. Von diesen bekommen nur 38.700 Arbeitslosengeld, der Rest bekommt die — niedrigere — Arbeitslosenhilfe oder gar nichts. In Westberlin gibt es außerdem 5.300 Kurzarbeiter, 6.200 ABM-Kräfte und 7.100 in Weiterbildungsmaßnahmen. Um die 200 Personen bekommen Altersübergangs- und Vorruhestandsgeld. Insgesamt sind das 127.300 Menschen.

In Ostberlin leben 1.275.000 Menschen, davon sind 95.500 arbeitslos gemeldet. Von diesen bekommen 59.900 Arbeitslosengeld, der Rest Arbeitslosenhilfe oder gar nichts. Weiter gibt es im Ostteil der Stadt 12.800 Kurzarbeiter, 29.300 ABM-Kräfte und 31.000 Menschen in Weiterbildungsmaßnahmen. Außerdem bekommen dort 26.500 Personen über 55 Jahren Altersübergangsgeld und 22.500 Personen über 60 Jahren (bei Frauen: über 55 Jahren) Vorruhestandsgeld. Zusammen sind das also 217.000 Menschen.

Die Arbeitslosigkeit in Ostberlin ist also zunächst einmal sehr viel höher als im Westteil der Stadt. Jedoch muß man, um die versteckte Arbeitslosigkeit korrekt festzustellen, die Sozialhilfeempfänger hinzurechnen. Denn der Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht nur einige Jahre, je nachdem, wie lange man gearbeitet hat. Danach bekommt man zunächst Arbeitslosenhilfe, dann Sozialhilfe. Vor allem Langzeitarbeitslose und Menschen, die noch nie die Chance auf ein festes Arbeitsverhältnis bekamen, fallen unter diese Kategorie. In Westberlin gab es laut dem Statistischen Landesamt im Jahr 1990 — neuere Zahlen waren nicht zu bekommen — 226.000 Sozialhilfeempfänger, darunter befanden sich aber auch alle Kurzzeit-Empfänger. In Ostberlin gab es Ende 1990 nur 16.600 Sozialhilfeempfänger. Während die Westberliner Zahl stabil ist, dürfte sich die Ostberliner Zahl verdoppelt haben. Jeweils nur ein Bruchteil davon sind Rentner. Dazu kommt noch eine Reihe — statistisch nirgends erfaßter — jüngerer Menschen oder verheirateter Frauen, die trotz Arbeitslosigkeit keine Sozialhilfe bekommen, wenn ihre Familien zuviel verdienen.

Alles zusammengerechnet, gibt es in Westberlin mindestens 300.000 wirkliche Arbeitslose, in Ostberlin um die 250.000 wirkliche Arbeitslose. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl hat Ostberlin also eine etwas höhere Zahl Arbeitslose. Die Zahl derer, die staatliche Zahlungen in einer Höhe erhalten, die einem Arbeitseinkommen nahekommt, liegt im Ostteil der Stadt bei 182.000 Personen. In Westberlin sind dies nur 57.500 Personen, der Rest bekommt Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe oder nichts.

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