Bonn sperrt Tür nicht zu

■ Bonn gibt den Ländern grünes Licht, weitere Flüchtlinge aufzunehmen/ Mehrere Bundesländer dazu bereit/ UNO ruft Flüchtlingskonferenz ein

Berlin (taz) — Der überwältigenden Hilfsbereitschaft der Bevölkerung für die bosnischen Flüchtlinge kann sich die Bundesregierung nicht verschließen. Regierungssprecher Dieter Vogel verkündete gestern, daß es zwar noch keine weiteren Beschlüsse von Bund und Ländern über die Aufnahme weiterer Flüchtlinge gebe. Bonn werde die Länder aber nicht daran hindern, zusätzlich Menschen aus dem Bürgerkriegsgebiet aufzunehmen. Mehrere Bundesländer, darunter Niedersachsen, Nordrhein- Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen und Brandenburg erklärten sich dazu auf Nachfrage bereit. Die Angebote, Flüchtlinge privat unterzubringen, übertrafen die Zahl der 5162 im Kontingent aufgenommenen Bosnier bei weitem.

Während gestern die letzten der Flüchtlinge mit Sonderzügen in der Bundesrepublik eintrafen, hieß es in Rundfunkberichten, daß in der kroatischen Stadt Karlovac mehrere Tausend Flüchtlinge auf eine Möglichkeit warten, sich in Sicherheit zu bringen.

Bei einer Internationalen UNO- Flüchtlingskonferenz soll am Mittwoch in Genf über die Verteilung der Kriegsflüchtlinge auf europäische Staaten verhandelt werden. Die Bundesregierung will die Flüchtlingsfrage auch bei der Ende August in London geplanten Konferenz zur Beendigung des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien behandelt sehen.

Berliner Senat stimmt Kompromiß zu

Die von taz und Grünen initiierte „Aktion Fluchtweg“ hat den Senat und die SPD von Berlin anscheinend völlig durcheinander gebracht. Auf der einen Seite der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU): Er hatte VertreterInnen der „Aktion Fluchtweg“ noch am Donnerstag Unterstützung bei der privaten Unterbringung von Kriegsflüchtlingen zugesichert und versprach nun nach Informationen des Berliner Info Radios in Barcelona, wo er die Olympiade besucht, die Unterbringung und Behandlung aller verwundeten Kinder von Sarajevo in Berlin. Auf der anderen Seite die Sozialverwaltung, die zuerst die privaten Hilfsangebote zurückwies, nun aber doch auf eine Kompromißlinie einschwenkte. Bei einem gestrigen Gespräch zwischen der „Aktion Fluchtweg“ und Staatssekretär Armin Tschoepe (SPD) sicherte dieser zu, allen unterbringungswilligen BürgerInnen die Adresse eines Heims in ihrer Nähe zukommen zu lassen, so daß sie selbst zu den Flüchtlingen Kontakt aufnehmen und sie gegebenenfalls bei sich beherbergen können. Das betrifft jedoch nur die Flüchtlinge, die bereits in Berlin sind, und die 138 BosnierInnen, die gestern abend erwartet wurden. Die „Aktion Fluchtweg“ hatte jedoch mit der Übergabe einer Liste von mehr als 400 Privatunterkünften erreichen wollen, daß Berlin über die zwischen Bund und Ländern vereinbarte Quote von 138 aufzunehmenden Personen hinausgeht.

Die Sozialverwaltung ist aber nach wie vor nicht bereit, ein politisches Signal zu setzen und mit Verweis auf das erfreuliche Engagement der BerlinerInnen in Bonn die Aufnahme von mehr Flüchtlingen zu fordern. Das wiederum empört, drittens, die SPD. Der schwarz-rote Senat „macht einen Fehler“, erklärte Ditmar Staffelt, Vorsitzender der SPD-Fraktion, „wenn er diese Menschen, die durch ihr Verhalten auch ein Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit setzen wollen, vor den Kopf stößt“. Er schlug vor, daß sich nach einer medizinischen und psychologischen Erstversorgung der Flüchtlinge „Aufnahmewillige, Flüchtlinge und Sozialverwaltung an einen Tisch setzen, um dann gemeinsam die Voraussetzungen für eine Privatunterbringung zu schaffen“. Andreas Wehr, Sprecher für internationale Fragen im SPD-Landesverband, kritisierte „die pingeligen bürokratischen Hürden“: „Die Sozialverwaltung soll tatkräftig helfen, statt bürokratisch zu belehren.“ usche/win

P.S.: Die „Aktion Fluchtweg“ geht auf jeden Fall weiter. Privatunterkünfte und Hilfsangebote bitte unter Tel. (030)25902-292 bei der taz oder (030)863003-36 bei den Grünen.