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Hilfe durch den Kummerwagen?

■ Ein mobiles Krisenzentrum soll den Kids vom Hauptbahnhof den Ausstieg erleichtern / Nervenkitzel und Medienrummel halten die Jugendlichen in der Szene / Gelegentlich fließt auch Geld für ein Action-Foto

den Ausstieg erleichtern / Nervenkitzel und Medienrummel halten die Jugendlichen in der Szene / Gelegentlich fließt auch mal Geld für ein Action-Foto

Einige von denen, um die es an diesem Tag im Senat geht, langweilen sich vor der Wandelhalle des Hauptbahnhofs, Südseite. „Nichts los hier, ich hab' gar keinen Bock mehr.“ Nils, 15 Jahre, im Januar von Berlin nach Hamburg gekommen; einer von denen, die die Hamburger Medien abwechselnd als Crash-Kids, Kindergangster, Autoknacker bezeichnen. Unruhig rutscht er auf einer Mülltonne hin und her. „Worum geht's denn eigentlich?“ Mobiles Krisenzentrum für die Betreuung von Jugendlichen aus dem Hauptbahnhofmilieu. Ach so. „Der Kummerwagen, davon hab' ich schon gehört.“

Der „Kummerwagen“ ist eine von jenen „Maßnahmen zur strukturellen Verbesserung der Hilfen zur Erziehung“, die der Senat gestern beschlossen hat. Ein Krisenzentrum am Hauptbahnhof, rund um die Uhr betreut von Sozialarbeitern, eine Anlaufstelle, die Kindern und Jugendlichen einen Platz zum Essen, Waschen, Reden bieten soll, falls nötig auch einmal einen Schlafplatz. Reaktion auf die Hilflosigkeit, mit der die Jugendhilfe einigen Kindern vom Hauptbahnhof gegenübersteht, die sich durch die bestehenden Betreuungsangebote nicht mehr betreuen lassen wollen. Reaktion auf eine Hilflosigkeit, die am „Fall Dennis“ so deutlich wurde. Der 13jährige hatte bei einer Spritztour mit einem geklauten Auto einen Unfall gebaut, sein ebenfalls 13jähriger Beifahrer war dabei getötet worden.

Nils muß runter von seiner Mülltonne, der private Sicherheitsdienst, den die Betreuungsgesellschaft Hamburg Hauptbahnhof zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung engagiert hat, patroulliert hier regelmäßig, wechselt sich ab mit den Kollegen von der Bahnhofspolizei. Der Umgang mit den Bahnhofskids wirkt vertraut. Kurze Geste genügt, Nils trollt sich, um nach kurzer Zeit seinen Sitz wieder einzunehmen. „Ich brauch' keinen Kummerwagen, meine Sorgen kann ich alleine regeln.“ Die Freunde auch? „Fünfzig-Fünfzig, dem einen kann ein Kummerwagen helfen, dem anderen nicht.“

Jugendsentorin Rosemarie Raab hofft auf mehr: „Zielsetzung des Senats ist, die Szene am Hauptbahnhof aufzulösen.“ Das individuelle Betreuungsangebot, das im Krisenzentrum beginnt, soll die Jugendlichen in Wohnprojekte lotsen und eine „Betreuungssituation“ schaffen, die angenommen wird, die ihnen den Ausstieg erleichtert.

Sabine sucht diesen Ausstieg. „Ich versuche, langsam hier wegzukommen“, sagt sie. Drei Monate hat sie es schon mal geschafft. Dann wurde die Sehnsucht zu groß. Nach den Freunden, die sie unbedingt mal wieder sehen wollte. Feste Bindungen, die die Kids am Hauptbahnhof halten. Und das Abenteuer. „Wenn die Bullen sie nicht immer verfolgen würden, die Jungs würden den Spaß am Autoknacken schnell verlieren“, sagt Sabine. Und im Prinzip sagt das auch die Bahnpolizei.

Hans-Joachim Schröder leitet die Wache am Hauptbahnhof. Krisenzentrum? „Mit uns hat niemand gesprochen, aber wenn es die Jugendlichen hier rauslöst, könnte es sinnvoll sein, doch eigentlich...“ Eigentlich bräuchten die Kinder „Platz zum Austoben.“ Bevor es soweit kommt. „Das fehlt in Hamburg.“ So reizt der Nervenkitzel, das Abenteuer lockt zum Bahnhof. Und die Medien. Die meisten Kids hat Schröder hier gezählt, als das Fernsehen da war. „Soviele habe

1ich hier sonst nie gesehen.“

Möchtegern-Medienstars, die auch kassieren. „Ich bin schon reich geworden durch die Presse“, erzählt Nils. Geld für Action-Fotos gebe es immer. Inoffiziell natürlich,

1„damit es die Polizei nicht merkt“. Sogar eine Festnahme hätten sie schon einmal gestellt für ein Fernsehteam, „ganz hart, mit der Knarre am Kopf“. Uli Exner

Namen der Jugendlichen geändert

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