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AUSGESPROCHEN KATHOLISCH Von Andrea Böhm

Vielleicht ist an dieser Stelle in den letzten Wochen der Eindruck entstanden, in den USA laufen nur sprachbehinderte Vizepräsidenten, blutrünstige Staatsanwälte oder Militaristen mit Homophobie herum. Das würde den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Schließlich findet man in diesem Land immer wieder seltene Tugenden wie Zivilcourage, Gemeinsinn— und Gottesfurcht. Die beiden letzteren sind nun in Knightsville im Bundesstaat Rhode Island kollidiert. Schuld sind in diesem Fall zwei Frauen: Emanuella Del Vecchio, 32 Jahre alt, und die Heilige Mutter Maria, Alter unbekannt.

Emanuella Del Vecchio stammt wie fast alle aus dem Stadtteil Knightsville aus Itri in Süditalien. Sie ist ausgesprochen katholisch und ausgesprochen pragmatisch. Das verursachte bislang keine Probleme, denn beruflich hat sich Emanuella Del Vecchio ganz auf ihren Maniküresalon im Einkaufszentrum von Knightsville konzentriert. Nun hat sie ihr Geschäft vergrößert, hat auf dem Parkplatz einen kleinen Verkaufsstand angemietet. Dort widmet sie sich nicht etwa der Fußpflege, sondern verkauft — Kondome. „Condom Hut“ heißt die neue Perle in der Geschäftswelt von Knightsville — in Anlehnung an eine landesweit bekannte Pizzeria-Kette. Die Kunden müssen nicht einmal aussteigen: Knightsville hat das erste Drive- through-Geschäft für Verhütungsmittel.

Was die Heilige Maria, die in Knightsville in vielen Gärten und Wohnungen ihren festen Platz hat, von Verhütungsmitteln gehalten hat, weiß man ja bis heute nicht. Hätte sie damals Josef oder den Hausengel oder wer immer mit im Spiel war angewiesen, sich etwas überzuziehen, wäre der Vatikan heute in ernsthaften Legitimationsschwierigkeiten. Das mag ein Grund sein, warum erstens viele Bürger in Knightsville über den „Condom Hut“ hell empört sind, zweitens ein paar Farbeier den Außenanstrich zunichte gemacht haben und drittens das Geschäft dort tagsüber eher schleppend verläuft. Doch nach Einbruch der Dunkelheit (Geschäftsschluß 22.30 Uhr) zeigt die Umsatzkurve für Frau Del Vecchio steil nach oben. Für die Herren in der römisch-katholischen Erzdiözese und Emilio Manzia vom Festkomitee der Heiligen Maria entspricht der „Condom Hut“ einem mittleren Erdbeben. Wenn die Kondome, die man ansonsten in der Apotheke oder in der Drogerie suchen muß, so einfach durchs Autofenster gereicht werden wie bei McDonald's die Milchshakes, dann kann der hoffnungsvolle Nachwuchs von Knightsville nur noch eines im Sinn haben: vorehelichen Sex. Abstinenz sei ja ein lobenswerter Vorsatz, meint Emanuella Del Vecchio, „aber die Realität sieht nun mal anders aus“. Deswegen verabreicht sie neben Latexprodukten auch gleich Aufklärung über Aids und Safer Sex. Angesichts dieser Sturheit startete die Erzdiözese zu einem letzten hilflosen Angriff: Man warf Emanuella Del Vecchio vor, sie wolle „nur einen schnellen Dollar machen“. Das läßt die nun völlig kalt.

Emilio Manzia weiß unterdessen gar nicht mehr wohin vor Empörung, denn er hat noch ein zusätzliches Problem mit dem „Condom Hut“. Der kleine Laden liegt mitten auf der Wegstrecke der jährlichen Prozession, die die Heilige Maria auf den Schultern kräftiger Männer zurücklegt. Da werden sie wohl der Schutzheiligen die Augen verbinden müssen — oder dem „Hut“ etwas überziehen.

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