piwik no script img

Polens Sejmmarschall stolpert über seine verliebte Tochter

■ Durchgebrannter Teenager droht mit Schwangerschaft

Durchgebrannter Teenager droht mit Schwangerschaft

Warschau (taz) — Andrzej Kern, Rechtsanwalt aus Lodz, erschien um halb elf Uhr abends bei der Woiwodschaftsstaatsanwaltschaft (Bezirksstaatsanwaltschaft) seiner Heimatstadt und erstattete Anzeige: Man habe ihm seine Tochter entführt.

Nun pflegen Polizei und Staatsanwälte — noch dazu auf Woiwodschaftsebene — um diese Uhrzeit anderen Beschäftigungen nachzugehen, als besorgte Väter zu trösten, doch Andrzej Kern hat etwas an sich, was nicht nur den Chef der Staatsanwaltschaft, sondern auch gleich eine bis an die Zähne bewaffnete Polizeieinheit zu nachtschlafener Zeit auf die Beine brachte: Kern ist Sejmmarschall (Parlamentspräsident).

Also rückten die Behörden noch in der gleichen Nacht aus und umstellten das Haus eines weiteren Lodzer Bürgers, den sie vorsichtshalber auch gleich durchsuchten, auszogen und ins Gefängnis warfen. Dort endeten auch dessen Frau und ein Bekannter von Kerns Tochter, den man so dazu bringen wollte, den Aufenthaltsort der Marschalltochter zu verraten. Nebenbei wurden dabei auch mehrere Wohnungen durchsucht, den Durchsuchungsbefehl erbrachte die Polizei erst im nachhinein, in einigen Fällen behauptet sie bis heute, Durchsuchungen hätten gar nicht stattgefunden.

Seit Wochen verfolgt Polens Öffentlichkeit nun schon mit angehaltenem Atem, wie Polens Polizei und Staatsanwaltschaft etwas aufzuklären versuchen, was offenbar gar kein Verbrechen ist. Denn Monika Kern, 17jähriges Töchterlein Kerns, ist nicht etwa entführt worden, sondern schlicht verliebt und mit ihrem Angebeteten, der seither von der Polizei gesucht wird, durchgebrannt.

Dieser wiederum war für Andrzej Kern allzu niedrigen Standes, um einer Ehe zuzustimmen. Maciejs Eltern, die man vorübergehend mit Schwerverbrechern zusammengesperrt hat, sind zwar einigermaßen wohlhabend, jedoch beruht ihr Wohlstand auf dem Backen von Teigwaren in einer Lodzer Pizzeria.

Monika indessen rückte ihren Eltern bereits mehrfach aus und schlüpfte bei den Eltern ihres Angebetenen unter, was ihr bereits einmal einen von ihrem Vater in die Wege geleiteten Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt einbrachte. Das ist auch schon der einzige Anhaltspunkt, aus dem die Polizei schloß, daß Maciej und seine Eltern die „Entführer“ sein könnten. Andrzej Kern selbst gab an, er verdächtige Maciejs Eltern der Entführung, weil sie seiner Tochter in der Vergangenheit des öfteren „Zuneigung widerfahren ließen“.

Zuneigung scheine bisher nicht gerade zu den typischen Eigenschaften von Entführern zu gehören, befand eine Tageszeitung ironisch, und um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß sie nicht entführt wurde, verschickt Monika Kern schon seit Wochen eifrig Briefe an alles, was in Polen Rang und Namen hat, zuletzt antwortete ihr sogar Präsident Walesa, der sie aufforderte, eine brave Tochter zu sein und zu ihrem Pappi zurückzukehren. Nichts liegt dieser allerdings ferner, in öffentlichen Briefen zog sie über ihren Vater her, den sie kategorisch nicht als „Pappi“, sondern geradezu amtlich als „den Kern“ tituliert. Der revanchiert sich mit Vermutungen, seine Tochter sei nicht nur entführt, sondern auch noch mit Psychopharmaka vollgepumpt und von politischen Gegnern zu seiner Diskreditierung mißbraucht worden.

Die ganze Affäre hat inzwischen auch tatsächlich politische Ausmaße bekommen. Auf Antrag des Verteidigers von Maciejs Eltern überprüfte das Justizministerium die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Lodzer Behörden. Das Ergebnis steht noch aus. Justizminister Dyka ist damit in einer Zwickmühle: Die Fakten sprechen gegen den ihm unterstehenden Lodzer Staatsanwalt. Der wiederum ist ein Freund Kerns. Gibt er ihm nach, so will der Anwalt der Gegenseite bis vor das europäische Menschenrechtstribunal in Straßburg gehen.

Auch Kern ist nicht zu beneiden. Seine Tochter droht ihm öffentlich mit Schwangerschaft, sollte er einer Heirat mit Maciej nicht zustimmen. Und ein Abgeordneter der Liberalen, der von ihr als Vermittler benannt wurde, hat bei Gericht beantragt, Polens Parlamentsvorsitzendem das Elternrecht zu entziehen. Den zweifelhaften Vorschlag zur Güte, sich zusammen mit seiner Tochter einer psychiatrischen Behandlung zu unterziehen, hat Kern bereits abgelehnt. Klaus Bachmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen