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Ach du heilige Anna

■ Mit himmlischem Beistand holte Rad-Amateur José Manuel Moreno das erste Gold für Gastgeber Spanien

Berlin (taz/dpa) — José Manuel Moreno aus Chiclana bei Cádiz ist ein äußerst religiöser Mensch. Vor dem Finale im 1.000-Meter-Radzeitfahren versäumte er es daher nicht, die heilige Anna um Beistand anzuflehen. Diese ließ sich nicht lumpen und verlieh dem schnellen Radler, der als letzter aller Teilnehmer an den Start ging, jede Menge Flügel. In 1:03,342 Minuten brauste der Spanier unter dem Jubel des restlos begeisterten Publikums viermal um die Bahn, fast eine Sekunde schneller als der Australier Shane Kelly, der bis dahin geführt hatte. Dritter wurde Erin Hartwell aus den USA. „Es war die Explosion eines galaktischen Radfahrers“, schwärmte La Vanguardia und in Chiclana wurde die ganze Nacht hindurch gefeiert.

Der Verdacht, daß sich Moreno nicht unbedingt nur auf den Beistand der heiligen Anna verläßt, drängte sich im letzten Jahr auf, als er kurz nach seinem Weltmeisterschaftssieg in Stuttgart bei einem Rennen in Bassano del Grappa (Italien), ebenso wie der Berliner Bill Huck, mit einer Dosis Dopingmittel im Urin ertappt wurde. Wegen eines angeblichen Formfehlers wurden beide Fahrer jedoch später vom Internationalen Verband begnadigt.

Die rasende Fahrt Morenos, Durchschnittsgeschwindigkeit: 56,83 km/h, kostete dem Spreewälder Jens Glücklich, Vize-Weltmeister von 1991, eine Medaille. Durchaus mit Gold-Ambitionen ins Rennen gegangen, brach Glücklich in der letzten Runde ein und kam schließlich nur auf den vierten Platz. „Jens Glücklich hinterließ auf mich einen überaus nervösen Eindruck“, beobachtete der zweimalige Sprint-Olympiasieger Lutz Heßlich, „er fuhr in einer Schlängellinie an.“ Zur Freude des im Velodrom anwesenden Berliner Bürgermeisters Diepgen hatte sich Glücklich im Olympia-T-Shirt mit dem Bärengesicht eingefahren, doch der Olympiabär hatte gegen Santa Anna nicht die Spur einer Chance.

Bereits am Start machten die spanischen Zuschauer den deutschen Weltmeister von 1985 und 1989 mit „Moreno, Moreno“- Sprechchören nervös, hinzu kam der Ärger mit der Startmaschine, die in einer langwierigen Prozedur jedesmal akribisch stabilisiert werden mußte. „Dieses Gefummel an den Rädern mußte ja wohl jedem Fahrer an die Nerven gehen“, meinte Heßlich. Glücklich versuchte, der wackligen Konstruktion einen Sekundenbruchteil zu früh zu entfleuchen und wurde dadurch gleich beim Start gebremst, was zu der von Heßlich konstatierten Schlängellinie führte. „Das kostete mich zwei bis drei Zehntel und wahrscheinlich Bronze“, ärgerte sich Glücklich.

Dennoch erzielte der Cottbuser, der die Olympischen Spiele von Seoul verpaßt hatte, weil er beim Training über ein auf der Straße liegendes Brikett gefahren war und sich einen Schädelbruch zugezogen hatte, in der ersten Runde eine schnellere Zeit als der Australier Kelly, doch dann wurde er immer langsamer und auf den letzten 500Metern ging ihm vollends die Luft aus.

„Ich bin 25, fühle mich meistens wie 17, bin aber heute wie 34 gefahren“, hatte Jens Glücklich gesagt, nachdem er im letzten Jahr den Weltmeistertitel um fünf Zehntel gegen Moreno verpaßt hatte. Der Spanier ist 23 und fühlte sich nach dem Rennen, als er vor Erschöpfung minutenlang nicht vom Rad steigen konnte, vermutlich wie 80. Gefahren ist er jedoch fast wie ein 28jähriger. So alt nämlich ist Tour de France-Sieger Miguel Induráin, Vorbild und, nach Bekunden des frischgebackenen Olympiasiegers, auch Freund des José Manuel Moreno. Matti

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