„Gold für die Jüngste“

■ Japan feiert die kleine Kyoko Iwasaki

Am Morgen erwachte Japan im Kyoko-Fieber. „Gold für die Jüngste“, schlagzeilte Asahi Shinbun über den Schwimmerfolg einer bis dahin Unbekannten: Kyoko Iwasaki. „Explosion der Jugend“, schwärmte Nihon Kezai Shinbun.

Ausgerechnet ein kleines 14jähriges Mädchen aus dem Fischerstädtchen Numazu hatte in den frühen Morgenstunden, als Japan noch schlief, die Goldmedaille im 200-Meter-Brustschwimmen gewonnen — mit Olympiarekord. Niemals zuvor konnte eine Jüngere aufs Siegerpodium eines olympischen Schwimmwettbewerbs steigen. Kein Wunder, daß Japans Olympiafans unter dem aufgelösten Kinderblick der Siegerin (1,57Meter, 45 Kilo) dahinschmolzen.

Für das Fischerstädtchen Numazu unter dem Fujiyama war es ein Feiertag. Die Stadt ließ Sonderflugblätter verteilen, und schon zu Mittag prangte über dem kleinen Rathaus der frohe Gruß: „Kyoko hat's geschafft.“

Die gestand: „Ich weiß auch selber nicht, warum ich jetzt so schnell schwimmen konnte.“ Zuhause wußte man auch keine Erklärung. Kyoko kommt nämlich nicht etwa aus einer der sportlichen Eliteschulen des Landes, sondern aus der kleinen Schwimmschule von Numazu, wo sie gemeinsam mit ihren zwei Schwestern für Olympia übte. Die hatten früh Entwicklungsschwierigkeiten — Kyoko wurde von den Eltern einfach mitgeschickt. Gestern morgen kamen diese völlig unwissend in Barcelona an. „Ich war ja so allein“, fiel ihnen das Goldtöchterchen um den Hals.

Das Gold mit vierzehn könnte dennoch ein zweifelhaftes Beispiel abgeben: Denn an vielen Schulen in Japan wird mit dem Sport auch die Disziplin eingeübt. Die Eltern, die für die Schulgebühren oft viele hundert Mark im Monat lassen müssen, sehen im sportlichen Erfolg oft den schönsten Dank für ihre Mühen. Sporterfolge von Jugendlichen werden deshalb in Japan rücksichtslos verherrlicht. Kyoko freilich hat es mit der Disziplin nie übertrieben: „Ich übe zwei Stunden in der Woche an sechs Tagen“, erklärte sie den Ungläubigen. Viel lockerer läßt sich ein Olympiasieg nicht erschwimmen — wenn's stimmt. Georg Blume, Tokio