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Lügen wie Champagner

■ Elisabeth Barillés Biographie über Anäis Nin: Eine Lebensbeschreibung mit romanesken Zügen

Als 1989 das „intime Tagebuch“ von Anäis Nin „Henry, June und Ich“ erschien, stand alles Kopf: Diese freie Person, die immer nur ich, ich, ich und niemals wir schreibt, soll verheiratet gewesen sein, noch dazu mit einem Bankier, der ihre Eskapaden bezahlt hat! Anäis Nin hatte mit Rücksicht auf ihren Mann zu dessen Lebzeiten ihre leidenschaftliche Beziehung zu Henry Miller und anderen nicht publizieren wollen. Auf Tagebücher ist also für eine Biographin kein Verlaß. Und wie vermeidet sie die Verdoppelung von Leben, das bereits in sieben Tagebuchbänden ausgebreitet wurde?

Elisabeth Barillé, die als erste Zugang zu Nins unveröffentlichten Schriften und Briefen hatte, entzieht sich — wie Anäis Nin — der wahrheitsgetreuen Lebensbeschreibung. Sie empfindet nach, in „romanesken Zügen“, so steht es im Buch-Motto. Wahrscheinlich die geeignete Form, um dem Leben einer Frau, der „Lügen wie Champagner“ schmeckten, auf die Spur zu kommen: eine neue Inszenierung des Lebensspiels der Nin. Mit Hilfe eingebauter „Berichte“ und „Briefe“ aus Anäis Nins Umfeld, die authentisch erscheinen und mit Originaltagebuchzitaten vermischt werden, rollt sie Kapitel für Kapitel (34 insgesamt) die Vita Nins auf.

Dieses Verfahren, vor allem die „Berichte“, bieten einen enormen Vorteil. Die Biographin läßt einfach den Ehemann Hugo Guiler erzählen, wie der „dahergelaufene Schnorrer“ Henry Miller „mit fettglänzenden Proletenfingern“ ihn mit seiner Frau betrügt. Oder Henrys Gattin June Smerth, für Anäis eine der begehrenswertesten Frauen, die diesen Kult um ihre Person in ihrem „Bericht“ selbst zerstört: „Es zahlt sich immer aus, einer gutbetuchten Dame ... wegen ihrer Anmut zu schmeicheln.“

So entgeht Barillé einer moralischen Bewertung, indem sie Kritik aus dem Mund der Freunde „erfindet“, damit gleichzeitig aber wieder Stellung bezieht, ohne den bekannten Zeigefinger zu erheben. Störend ist dabei allerdings ihre Sprache, denn Barillé schmückt die tatsächlichen und vorgeblichen Tatsachen mit blumigen Adjektiven und schillernden Verben aus. Immer ist ein „Kleid aus zartrosa Tüll, rüschenbesetzt“, ein Windstoß „jäh und viel“. Die Bilder verbrauchen sich in Phantasieklischees junger Mädchen aus dem 19. Jahrhundert. Vielleicht eine Annäherung an die Ninsche Tagebuchsprache, die ja streckenweise ebenfalls hart an der Grenze zum Kitsch liegt.

Anäis Nins Doppelleben der repräsentativen Bankiersfrau und der freivögelnden Kokotte, die Beschreibung des verbotenen Reizes, nimmt einen Teil der Biographie ein. Elisabeth Barillé schafft es aber immer wieder, die Schriftstellerin Anäis Nin in den Vordergrund zu stellen: Das Kind Anäis beispielsweise schreibt an den Vater, der sie verlassen hat. Dieser Brief wird zum Brief an die Welt, der sie 1966, im Alter von 63 Jahren, berühmt macht, lange Zeit nach Henry Miller. Möglicherweise blieb ihr, da sie mit dem Eigentlichen keinen Erfolg hatte — Anäis Nins Versuche, sich im Paris der 30er Jahre als Schriftstellerin zu etablieren, scheiterten — nichts anderes übrig, als Maskierungen und Doppelleben suchen. Jutta Raulwing

Elisabeth Barillé: „Maskierte Venus. Das Leben der Anäis Nin.“ Aus dem Französischen von Sabine Lohmann, Albrecht Knaus Verlag, 304 Seiten, 39,80 Mark.

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