Europäischer Flüchtlingspoker in Genf

Das Treffen von 36 Länderdelegationen mit der UN-Flüchtlingskommissarin verspricht kaum konkrete Hilfen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

„Die Konferenz über Jugoslawienflüchtlinge wird ausgehen wie das Hornberger Schießen.“ Die Bonner Delegation bei dem heute im Genfer UNO-Palast stattfindenden Redemarathon von Außenministern, ihren Stellvertretern bzw. Staatssekretären aus 36 Staaten macht sich keine Illusionen. Nach den Erfahrungen der letzten Tage bei EG-internen Beratungen sowie beim Treffen der 24 OECD-Staaten am Montag in Brüssel rechnet Bonn nicht ernsthaft damit, daß die westeuropäischen Partnerstaaten — allen voran Frankreich, England und Italien — ihre bisherige Haltung ändern und sich zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien in nennenswertem Umfang bereit erklären. Darin werden auch die Zahlen wenig ändern, die Innenminister Rudolf Seiters heute mittag noch einmal vortragen wird: 200.000 Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien — darunter 140.000 Asylbewerber — wurden seit Beginn der Krise im vergangenen Jahr in Deutschland aufgenommen; 1.108 fanden Zuflucht in Frankreich, 1.110 in Großbritannien, 7.000 in Italien, 6.700 in den Niederlanden sowie 870 in Belgien. Nach dieser jüngsten Statistik des UNO-Flüchtlingshochkommissariats steht die Bundesrepublik sehr gut da — zumindest was die absoluten Zahlen betrifft. Dennoch hielt die Bundesregierung es gestern für notwendig, kurzfristig Innenminister Seiters statt des Außenamtsstaatssekretärs Kastrup als Leiter der Bonner Delegation nach Genf zu beordern.

Die Schweiz mit 17.500 sowie Ungarn (60.000) und Österreich (50.000) haben allerdings bis heute weit mehr Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien aufgenommen als Deutschland — nimmt man die Größe der eigenen Bevölkerung zum Maßstab. Diese und andere einigermaßen objektive Vergleichskriterien, wie etwa Größe und Wirtschaftskraft eines Aufnahmelandes oder seine Entfernung zur Konfliktregion, könnten als Grundlage dienen für die Bemessung von Aufnahmekontingenten und Quoten. Doch so konkret wird die Diskussion heute in Genf nicht werden. Weder die deutsche noch eine andere Delegation und auch nicht die UN-Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata werden entsprechende Vorschläge auf den Tisch legen. Franzosen, Engländer und Italiener werden daher ohne große Schwierigkeit ihre Position wiederholen können, wonach der Transport von Flüchtlingen in weiter von der Konfliktregion entfernten Staaten nicht sinnvoll, da zu teuer sei. Inoffiziell ist bei Gesprächen mit Diplomaten sowohl aus diesen Ländern als auch aus den Beneluxstaaten immer wieder auch ein anderes Argument zu hören: Deutschland sei wegen der von Ex-Außenminister Genscher durchgesetzten frühzeitigen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die EG wesentlich verantwortlich für die heutige Flüchtlingsmisere — und solle daher auch die Hauptlast tragen.

Aufgrund der großen Bereitschaft der deutschen Bevölkerung zur Aufnahme von Flüchtlingen ist die Bundesregierung eventuell bereit, zusätzlich zu den in den letzten Tagen ins Land gelassenen 5.000 Flüchtlingen noch einmal 5.000 bis 7.000 Menschen die Einreise zu gewähren. Dies soll offiziell allerdings erst nach der Genfer Konferenz bekanntgegeben werden, um die anderen Staaten nicht zu entlasten. Die Schweizer Regierung erwägt die weitere Aufnahme von bis zu 10.000 Flüchtlingen — unter der Bedingung, daß andere Länder entsprechende Bereitschaft zeigen. Großbritannien, so ist zu hören, wird zur Besänftigung der deutschen Kritik eventuell Visa für 1.500 Flüchtlinge ausstellen.

Das UNHCR will es sich mit keiner Regierung verderben und beschränkt sich auf allgemeine Appelle. Die UNO-Organisation befürchtet, daß der große Flüchtlingsdruck auf Westeuropa erst ab Oktober/November bevorsteht: wenn bis dahin keine winterfesten Behausungen geschaffen werden für die über 1,7 Millionen Flüchtlinge, die derzeit in Zelten und Notunterkünften in Kroatien und anderen ehemals jugoslawischen Repuliken leben. Das UNHCR erhofft sich von der heutigen Konferenz Zusagen für die Finanzierung der erforderlichen Baumaßnahmen. Doch die bisherigen Erfahrungen sind nicht ermutigend. Auf den ersten, bereits Anfang Mai veröffentlichten UNHCR-Spendenappell in Höhe von 141 Millionen Dollar hin sind bis gestern gerade 80 Millionen zusammengekommen. Die Bundesrepublik hat davon lediglich 933.000 Dollar zur Verfügung gestellt. Allerdings rühmt sich Bonn, für bilaterale Hilfsmaßnahmen und die Beteiligung an der Luftbrücke nach Sarajevo bisher 109 Millionen Mark ausgegeben zu haben. Für Frankreich nennt das Bonner Außenministerium die Summe von 17,5 Millionen, für Großbritannien von 9,0 Millionen Mark. Das Außenministerium in London beziffert die Ausgaben für humanitäre Hilfe auf bislang 75 Millionen Mark.

Auf die Fassung von Beschlüssen oder auch nur die Verabschiedung einer gemeinsamen Abschlußerklärung der heutigen Genfer Konferenz wurde von vornherein verzichtet. Konkrete Ergebnisse sollen in „Folgekonferenzen“ in den nächsten Wochen erzielt werden, zu denen sich eine kleine Anzahl noch nicht näher bestimmter Staaten mit dem UNHCR treffen sollen.