Klavierträger von Weltformat

■ Die englische Comedy-Truppe »The Kosh« im Varieté Chamäleon

Sekundenbruchteile bevor es endgültig losgeht, hört man hinter der Bühne einige wenige zögerliche Töne: da plinkert ein kleines »fis«, es antwortet das unentschlossene »dis«. Gemeinsam kommen sie näher und näher, vermischen sich — immer noch backstage — mit zwei schwer auftretenden Fußpaaren und einem rhythmisch geblasenen »puhh«. Dann biegt dieses klingelnde und stöhnende Klanggebilde mit einem letzten synchronen Schritt um die Ecke und starrt überrascht in die Augen eines staunenden Publikums. Das Klavier macht ein letztes Mal »pling«, bevor Sian Williams und Mark Hopkins es von ihren gebeugten Rücken herunterrutschen lassen.

Da steht es nun, noch trefflich verschnürt, auf der riesigen Bühne des Varietétheaters Chamäleon und ist — wie sich später herausstellen wird — wahrhaftig ein regelrechtes Piano forte. Zugegebenermaßen ein korpulentes Reiseinstrument, aber — auch das wird sich später erweisen — die beiden Protagonisten des englischen Tanz- und Comedyduos »The Kosh« sind nicht nur musikalische, sondern auch starke Leute.

Kaum haben sich die beiden ihrer Reisegarderobe entledigt, reißt die resolute Dame auch schon stumm, aber wirkungsvoll das Schnürband vom Klavier, während der Herr umständlich seine rückwärtigen Schwalben ordnet, ein Notenheft aus der Jackentasche fischt — Funiculi Funicula steht darauf zu lesen — und sich schon mal in der Pose des Mario Lanza übt. Dann finden sie sich endlich in der Musik, geben gewissermaßen — funiculi, funicula — eine komödiantische Visitenkarte für ihr großartiges Programm »Endangered Species« ab. An diesem Abend stellen sie Lanza und Pavarotti ganz nonchalant in den Schatten und sich selbst von ihrer besten Seite dar.

Als am Ende dieser ersten konzertant-komischen Darbietung der kleine Maestro ohnmächtig auf dem Rücken liegt und somit die Pianistin fürs erste obsiegt hat, geht man für den Rest des Abends zum Grammophon über, kämpft weiter mit allen Mitteln der Komik, tanzt einen wunderschönen Walzer, in dessen Folge das Paar seine Leibwäsche einbüßt, und erntet auch hierfür verdientermaßen Standing ovations eines ergebenen Publikums.

In rasantem Tempo wechseln Sian Williams und Mark Hopkins in ihrer gut einstündigen Show die Stile und Tempi, Genres und Kleider. Mal wirbeln sie sich, freizügig in einen perlenverzierten Traum aus grünem Nylon gewandet, gegenseitig durch die Luft (Miß William ist dabei auffällig oft die hantelgestählte Unterfrau), dann wieder retten sich die beiden durchtrainierten Körper in Nadelstreifen und Netzstrümpfe und geben uns eine neue — nicht nur sinnliche — Version des unvermeidlichen Kriminal-Tangos.

Sie können steppen und singen, bauchreden und Faxen machen, schweben über dem Fußboden oder in den Untergrund, immer aber in den höheren Sphären kurzweiliger Comedy. Allzuoft nehmen die kleinen Geschichten und Annekdoten eine ganz andere Wendung als erwartet, wird es lyrisch, wenn keiner damit gerechnet hat, oder gar clownesk, wenn es die Geschichte auf den ersten Blick gar nicht erforderte.

Dabei besticht neben allen Künsten und Effekten vor allem der hohe professionelle Standard dieser Truppe von Weltformat. Sie sind witzig und klug — sogar so klug, nicht unter Beweis zu stellen, daß sie mit Sicherheit auch mit Keulen jonglieren könnten.

Ein Traum von einer Show. Unbeschreiblich, aber wahr. Und vor allem noch bis Sonntag im Chamäleon zu bewundern. Klaudia Brunst

»The Kosh« bis 2. August täglich um 20.30 Uhr im Varieté Chamäleon, Rosenthaler Straße 40-41