: Hilfswelle erdrückt Flüchtlinge und Helfer
■ AG Flüchtlinhshilfe: Bosnier brauchen Ruhe / Ungeduldige Amateurhelfer / Neue Helfer in Bergedorf und am Volkspark
: Bosnier brauchen Ruhe / Ungeduldige Amateurhelfer / Neue Lager in Bergedorf und am Volkspark
Die Profi-Helfer sind gereizt. Die Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Caritas haben am vergangenen Wochenende in einem Kraftakt ein Wohnwagendorf für 130 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in Poppenbüttel aufgebaut und aus dem Stand deren Betreuung organisiert. Damit nicht genug. Jetzt fallen die Amateure über die Mitarbeiter der Verbände und ihre Schützlinge her.
„Eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft“ nennt die gemeinsame „Arbeitsgemeinschaft Flüchtlingshilfe“ von AWO und Caritas beschönigend den Auftrieb der Hamburger, die direkt im Lager nicht nur Kleidung, Wurst, Schokolade oder auch Geld loswerden wollen, sondern auch noch von Flüchtlingen und Hilfspersonal Zuwendung erwarten.
Die Bosnier bräuchten jetzt vor allem Ruhe, beschwor gestern AWO-Geschäftsführer Michael Golombek die Bevölkerung, ohne vermeiden zu können, daß gestern abend auch noch der gerade aus dem Urlaub zurückgekehrte Henning Voscherau für heute seinen Besuch im Lager ankündigen ließ. AWO und Caritas wollen die Hilfsbereiten aber nicht frustrieren. Die Sozialbehörde zahlt den Flüchtlingen pro Kopf lediglich 7,50 Mark, davon müssen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wer sie unterstützen wolle, solle Geld oder lagerbare Lebensmittel spenden, auch Weltempfänger würden gebraucht, damit die Bosnier Nachrichten aus ihrer Heimat empfangen könnten. Das Bürgertelefon, das die Arbeitsgemeinschaft eingerichtet hat ( 280140-66/57), nimmt Angebote auf — auch für die weiteren 4000 Menschen aus den Krisenregionen, die in Hamburg bei Bekannten untergekommen sind oder gar im Freien leben.
Geldspenden in Höhe von 40000 Mark sind bisher eingegangen. Davon will die Arbeitsgemeinschaft ihren Schützlingen HVV- Fahrkarten, Medikamente oder Dinge des täglichen Lebens kaufen und „Einlebenskurse“ finanzieren.
Die jetzt in den Wohnwagen lebenden Flüchtlinge sollen mittelfristig bei Gastfamilien unterkommen, denn das Lager ist nicht winterfest.
Ärgerlich, so der Leiter der AG- Flüchtlingshilfe Harald Iwaszkiewicz, sei die Ungeduld, mit der die Hilfsangebote unterbreitet werden. „Die Leute wollen ihren Bosnier gleich am Telefon durchgereicht bekommen“. Den meisten Anrufern sei nicht klar, daß völlig unbekannt ist, wie lange die Flüchtlinge in Hamburg bleiben, daß sie kein Deutsch sprechen und ihr Leben selbst gestalten wollten.
Wöchentlich kommen derzeit 50 bis 60 bosnische Flüchtlinge nach Hamburg. In den kommenden Tagen wird wieder eine größere Gruppe erwartet. Die Staatsrätin der Innenbehörde, Wilma Simon, gab gestern bekannt, daß bis zum Wochenende eine Wohnwagenunterkunft am Volkspark errichtet werde, eine weitere soll in Bergedorf entstehen. mib
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