: Braun werden ohne Schwitzen
■ Kein Witz: 30 Grad im Schatten - und die Sonnenstudios sind knallvoll
„Daß wir den tollsten Sommer seit Jahren haben, ist bei uns kaum zu merken. Die Leute kommen trotzdem.“, so die Chefin eines Sonnenstudios am Ostertorsteinweg.
Wer hätte das gedacht: Der Platz an der Sonne, einst heißbegehrt, wird zunehmend mit kühler Verachtung abgelehnt. Statt unter dem gleißenden Feuerball am wolkenlosen Himmel alle Viere von sich zu strecken, krabbeln immer mehr Menschen auf die Sonnenbank und frönen dort dem Röhrenkult.
Fröhliches Kinderlachen am Badesee, triefende, über aufgeheizte Körper hinweggaloppierende Hunde, der unverbindliche Schnack mit dem Sonnenhungrigen nebenan — dies alles wird eingetauscht gegen die gedämpfte Atmosphäre eines Sonnenstudios. Hier domoniert das leise Summen der Röhren, unterbrochen vom Klicken der kleinen Knöpfe, mit deren Hilfe man den künstlichen Himmel auf- und abbewegen kann. Einsam liegt da jeder in seiner Kabine, ahnungslos, wer denn wohl die Nachbarkabine besetzt hat, wie er oder sie wohl aussehen mag. „Ritsch“, das war ein Reißverschluß. Das Knistern läßt auf eine Perlonstrumpfhose schließen. Aha, eine Frau bereitet sich auf ihre UV- Strahlendosis vor.
Frau Hehnel aus dem „Sahara- Sonnenstudio“ in Horn weiß: „Immer mehr Menschen versuchen, der Hautkrebsgefahr durch die Sonne auszuweichen. Um trotzdem braun zu werden, kommen sie eben zu uns.“ Dabei ist es gar nicht mal vorwiegend die Angst vor Hautkrebs, der durch den zunehmenden Ozonmangel in der Atmosphäre immer wahrscheinlicher wird, sondern häufiger noch die pure Bequemlichkeit, die die Anhänger der eingefärbten Epidermis trotz des monatelangen Bombenwetters in die Sonnenstudios treibt.
Denn :hier wird man dank der kühlenden Ventilatoren, die den Körper umgeben, ohne Schwitzen braun, und: in viel kürzerer Zeit. „Außerdem ist es viel praktischer“, finden die beiden jungen Mütter Ute und Daniela. Während Ute ihre halbstündige Bestrahlung „abliegt“, paßt Daniela auf die beiden Kleinen auf.
Unvorstellbar noch vor 20 Jahren, daß sich solche Bräunungsanstalten einen Platz im täglichen Leben, zwischen Einkauf und Mittagessen, erobern würden. Doch time is money. Mußten sich unsere Eltern noch stundenlang unter der Sonne abrackern, einem Sonnenbrand nur ständiges Ganz-Körper-Einreiben entgehend, um wenigstens einen Hauch der begehrten Farbe zu erlangen, so braucht man im Sonnenstudio für das gleiche Ergebnis nur eine halbe Stunde. Wozu sich also noch martern: Für ein paar Mark und Dank moderner Technik sind Sie bestens vorbereitet dabei - beim abendlichen "Wer ist brauner“-Wettbewerb auf Straßen und in Cafes.
Saskia Maier
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