piwik no script img

Wenn der Käpt'n verschwindet...

■ ... ist hoffentlich der Lotse an Bord / Über den Job der Weserlotsen

Die russische „Novovyatsk“ ist fertig zum Auslaufen. Der Lotse ist bereits an Bord und übernimmt auf der Brücke das Kommando. Ein Schlepper zieht das Schiff der Baltic Shipping Company von der Pier des Neustädter Hafens in Bremen. Die rund 150 Meter lange „Novovyatsk“ schiebt sich langsam ins Fahrwasser und macht sich auf den Weg via Las Palmas nach Brasilien und Argentinien. Der Weserlotse an Bord ist Holger Tessenow, Ältermann der Lotsenbrüderschaft Weser I. Er gibt mit drei Zahlen den zu fahrenden Kurs an den Steuermann.

Von Bremerhaven kommend tauchen im Dunst zwei Schiffe auf. Über „Walkie-talkie“ spricht Tessenow mit den Lotsen der beiden entgegenkommenden Schiffe die Kurse ab, damit „man gut aneinander vorbei kommt“. Der Kapitän der „Novovyatsk“ erscheint wenig später auf der Brücke, plaudert mit dem Lotsen und verschwindet wieder. „Das ist meist so“, sagt Tessenow. „Die Kapitäne verlassen sich immer mehr auf den Lotsen.“ Dies ist allerdings nach dem „Gesetz über das Seelotswesen“ nicht vorgesehen. Der Lotse soll lediglich beraten und gemeinsam mit dem Kapitän das Schiff führen.

Tessenow erinnert sich an eine Anekdote: Als er in Bremerhaven ein aus Hamburg kommendes Schiff übernahm, erschien der angetrunkene Kapitän auf der Brücke, wünschte gute Reise und verabschiedete sich. Im Bremer Überseehafen gab Tessenow das Komando, das Schiff zu drehen, um rückwärts an der Pier anzulegen. Da erschien der Kapitän und lallte, er wolle nicht anlegen, er müsse doch endlich auslaufen. Tessenow erkannte die Situation und erklärte dem Kapitän, er sei doch nun in Bremen und nicht mehr in Hamburg.

Damit man gut aneinander vorbeikommt

Tessenow ist seit 1981 Weserlotse. Für ihn ging damit ein Traum in Erfüllung. Schon als kleiner Knirps begleitete er seinen Großvater auf dessen Lotsenfahrten zwischen Bremen und Bremerhaven. Aber der Weg bis zum Traumberuf dauerte 17 Jahre. Grundvoraussetzung für die Bewerbung ist der „Kapitän auf Großer Fahrt“ mit sechsjähriger Fahrenszeit und eine anschließende Revierprüfung. Nach einer Vorschlagsliste entscheiden die Mitglieder der Lostenbrüderschaft über die Aufnahme in ihren Kreis. Erst nach weiteren drei Jahren darf der „Jung-Lotse“ alle Schiffe im Revier geleiten. In Deutschland sind Lotsen seit mehr als 500 Jahren tätig. Waren es anfangs meist Fischer, die nebenberuflich auf Anforderung Schiffe geleiteten, wurde mit zunehmendem Schiffsverkehr das Lotswesen organisiert. Seit 38 Jahren besagt ein Bundesgesetz, daß Lotsen in den einzelnen Revieren in sogenannten „Lotsenbrüderschaften“ vereinigt sind. Sie arbeiten selbständig, werden jedoch vom Staat beaufsichtigt. Bis auf wenige Ausnahmen müssen alle Schiffe ab 1.000 BRT einen Lotsen bestellen, die Kosten werden vom Bundesverkehrsminister festgelegt. Diese Lotsabgabe ist aufgeteilt in ein Lotsgeld - für den Lotsen — und eine Lotsgebühr, die der Staat für die Erhaltung des Fahrwassers kassiert, erklärt Tessenow. Finanziell sollen die Lotsen den Kapitänen gleichgestellt sein.

Vier Monate arbeiten, einer frei

Zur Zeit sind das rund 11.000 Mark monatlich. Allerdings gibt es kein Weihnachts- oder Urlaubsgeld, keine Zuschläge für Nacht-und Sonntagsdienste, und die Sozialversicherungskosten müssen die Lotsen ebenfalls selbst tragen. „Wir nennen das Bruttobetriebseinnahmen“, ergänzt Tessenow. Bevor es zu gleichen Teilen an die Lotsen weitergeleitet wird, müssen zunächst die Bürokosten und die Mitarbeiter-Gehälter gezahlt werden, die unter anderem einen 24stündigen Telefondienst gewährleisten. Die Lotsenbrüderschaft Weser I beschäftigt 17 Angestellte.

Lotsen müssen jederzeit abrufbereit sein und ihre ohnehin unregelmäßige Arbeitszeit beträgt durchschnittlich etwa 50 Stunden in der Woche: „Vier Monate arbeiten, einen Monat frei“. Tessonow verweist auf Statistiken, wonach 76 Prozent der Arbeit auf die „nicht normalen Arbeitzeiten“ zwischen acht und 18 Uhr entfallen. So mancher Lotse, der einen Pott nach Bremerhaven geleitet hat, muß mehr als zwölf Stunden auf ein weseraufwärts fahrendes Schiff warten.

Diese für den Nachwuchs unattraktiven Begleitumstände des Berufs bereiten dem Ältermann zunehmend Sorgen. Noch sei die Lotsenbrüderschaft Weser I mit 63 Lotsen recht gut ausgestattet. „Aber in acht bis zehn Jahren sieht es finster aus.“

Die „Novovyatsk“ hat mittlerweile Bremerhaven erreicht. Tessenow nimmt Kontakt mit der Lotsenstelle auf und bittet um das Lotsenversetzboot. Kurze Zeit später steigt der Seelotse an Bord. Er bringt das Schiff bis zum Ende des Weserfahrwassers. Der Weserlotse klettert die Lotsentreppe an der Bordwand hinab, an diesem Tag ein Kinderspiel. Die See ist ruhig, keine Gischt spritzt. Aber es gibt auch die Nebel-und Sturmtage. Und der Weg von Bord ist meist der gleiche. Vera Schwarze/dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen