: Wirbelnde Speichen im Sonnenlicht
■ Am Wochenende mit dem Rad weserabwärts von Minden nach Bremen / Was Sie nicht sehen, das ist der Fluß
7.58 Uhr ab Bremen, umsteigen in Verden, 9.46 Uhr an Minden. Kaum aus der Stadt heraus und schon mitten im Grünen: Vorbei an Wiesen, üppig wucherndem Unkraut und schwer beladenen Brombeerhecken. Zwei Tage und rund 150 Kilometer werden wir dem Weser-Radweg folgen, der den Fluß von Hannoversch Münden bis Bremerhaven begleitet. Wir begnügen uns mit der Strecke von Minden nach Bremen. Das ist an einem Wochenende zu schaffen, zumal die Route gut ausgeschildert ist, und der Radler nicht an jeder Kreuzung anhalten und die Karte studieren muß.
Was Sie hier nicht sehen ist die Weser: Alles fließt, aber manchmal eben auch in gebührendem Abstand. Wer dem Fluß folgen will, der sollte vielleicht doch besser die Strecke vor Minden fahren. Der Weg bis Bremen führt im flurbereinigten Zickzack auf schmalen Wirtschaftswegen durch die Felder hinterm Deich. Auf den wenigen Straßen ist der Autoverkehr erträglich, auch an einem Sommersonnenwochenende.
Ein wunderschönes hutzeliges Kirchlein in Ovenstädt — natürlich geschlossen, was die Liebste zu unflätigen Bemerkungen über die Auswirkungen der Reformation veranlaßt. Aber was für Dörfer: mächtige Linden, prächtige Pferde, Hofgevierte nach Gutsherrenart. Und das Auge erfreut sich gleichermaßen an den blühenden Geranien wie an den liebevoll gepflegten Satellitenschüsseln: backsteinrote Antenne vor backsteinroter Brandmauer.
Hier heißt die Heimatzeitung „Die Harke“ und der Heuwender „Rivale Brillant“. Auf den Feldern lesen wir auf weißen Tafeln: Zentos, Bussard und Alidos, und erfahren später, daß das die Vornamen vom Roggen sind, der hier wohnt. Wundersames Landleben. Beinahe an jedem Haus hängt eine Zielscheibe als Trophäe des Schützenkönigs, manche schon bis zur Unleserlichkeit verwittert.
Pause in Schlüsselburg, einer Insel mitten im platten Land. Das Dorf und die Wiesen und Felder umzu liegen in einer Weserschleife. An drei Seiten fließt der Fluß an der vierten ein Stichkanal. Im Klo vom Ratskeller ist der Präserautomat schamhaft in fernmeldegrau gehalten.
Daß der Weg unbedingt durch die Fußgängerzone von Nienburg gehen mußte! Die Rache des Oberstadtdirektors. „Waren wir hier nicht schonmal?“ Der Frage ist nichts hinzuzufügen. In der Abendsonne radeln wir Bücken entgegen. Ein zauberhafter Ort mit einer ebensolchen Stiftskirche in der Mitten. in der "Linde" wird gut gegessen und übernachtet.
Am zweiten Tag auf Bremen zu, die kürzere zweite Hälfte vor uns: Bei Alvesen öffnet sich der Blick auf traumhaft gelegene Seen, wären da nicht die beiden Campingplätze mit den dazugehörigen eingezäunten Wohnwagen und Gartenzwergen. Doch bei der richtigen Perspektive kann sich das Auge ungestört an den Seerosen und Sumpfdotterblumen sattsehen. Päuschen mit Blick auf Verden samt den vorgelagerten Pferden, weiter über Cluvenhagen (kurzer Sprung in den See) und Etelsen (Grüße an Gerken!). Hinter Achim geht es wieder am Fluß entlang und je näher der Dom rückt, desto schneller wirbeln die Speichen. Jetzt noch eine Pause? Ach was! Den nächsten Cappuccino gibts bei Ferrari im Steintor. Jochen Grabler
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