: Bosnien: Über das Versagen der UNO
■ Der bosnische Vizepräsident Ganic fordert in Bonn eine internationale Militärintervention/ Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker kritisiert UNO scharf/ Flüchtlingszüge erst am Montag
Bonn (AFP/AP) — Während es in Sarajevo auch am Freitag zu Infanterie- und Artilleriegefechten kam und die Bevölkerung der belagerten Stadt in den Kellerräumen verharren mußte, warf die Führung der Bürgerkriegsrepublik den UNO-Friedenstruppen „Untätigkeit“ vor.
Das Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina Ejup Ganic sagte nach Gesprächen mit der Bundesregierung am Freitag in Bonn, die Staatengemeinschaft komme der Verpflichtung nicht nach, die Menschenrechte in Bosnien-Herzegowina zu schützen und die kriegerische Expansionspolitik Serbiens zu beenden. Die UNO- Friedenstruppen im Land hätten nichts erreicht. Serbien nehme sie gar nicht ernst.
Vielmehr gehe der blutige Eroberungskrieg des militärisch mächtigen Serbiens weiter, sagte Ganic. Sein Schicksal sei, „klein zu sein und kein Öl zu besitzen“. Die Aufnahme von Flüchtlingen in anderen Ländern sei letztlich nur eine „Ausflucht“ und lenke vom Problem der serbischen Aggression ab.
Die Serben kalkulierten in ihrer Politik der „ethnischen Säuberung“ gezielt ein, daß andere Staaten die Vertriebenen aufnehmen. Daher müßten sich die Vereinten Nationen zu einer Militärintervention entschließen oder zumindest die bosnische Armee durch Waffenlieferungen stärken.
Bundesaußenminister Kinkel wandte sich in seinem Gespräch mit Ganic gegen die „deutlich erkennbare Politik der serbischen Regierung einer ethnischen Säuberung“ und die von den Serben bei der europäischen Friedenskonferenz in London vorgelegte Karte, auf der sie drei Viertel des bosnischen Staatsgebietes für sich beanspruchen. Die von der EG vorgeschlagene Schaffung von ethnischen Kantonen hingegen wäre keine Zerstückelung, weil dabei das einheitliche Staatsgebiet fortbestehen würde. Dieses Konzept ist nach Ganic jedoch praktisch nicht umsetzbar, da Moslems, Kroaten und Serben in seinem Land nicht in verschiedenen Gebieten, sondern „gemischt“ lebten.
Schwere Vorwürfe gegen die UNO, das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) und die Blauhelm-Truppen im früheren Jugoslawien (UNPROFOR) erhob die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). „Ohne jede öffentliche Kritik hätten sie die Existenz von serbischen „Konzentrationslagern“ in Bosnien-Herzegowina, Massendeportationen in Viehwaggons und Massenerschießungen hingenommen, erklärte die Organisation. Nach Schätzungen der GfbV haben die Serben in Bosnien-Herzegowina in über 50 „Internierungs- und Konzentrationslagern“ 80.000 bis 100.000 Menschen inhaftiert, überwiegend Moslems.
Die zweite Sonderaktion für 5.000 bosnische Kriegsflüchtlinge, die mit sechs Sonderzügen aus dem kroatischen Karlovac in die Bundesrepublik gebracht werden sollen, wird frühestens am nächsten Montag anlaufen. Der „Schlüssel“ für ihre Verteilung wird wie bei Asylbewerbern gehandhabt werden. Allein Baden-Württemberg hat den Wunsch geäußert, die Flüchtlinge aus Bosnien angerechnet zu bekommen, die sich schon ohne Asylantrag auf seinem Gebiet aufhalten.
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