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Eigentlich bis Helgoland

Elbe-Labe. Biographie eines Stroms. Eine ausufernde Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden  ■ Von Barbara Häusler

Vorbei die Zeiten, als man im Hygiene-Museum noch pünktlich zur Pressekonferenz anreiste, die mit der Begründung „allgemeinen Desinteresses“ weder stattfand noch abgesagt worden war; die Zeiten, als man statt dessen einer Privatführung durch den anheimelnd- unheimlichen Keller des Museums teilhaftig wurde, mit seinen anatomischen Modellen, Skeletten und der unerwarteten Nachbarschaft von Wachsmodellen ekliger Furunkel und heimischen Kleingemüses, um sich danach in aller Ruhe die aktuelle Ausstellung anzusehen.

Dresdens Kulturlandschaft boomt. Allerdings, ob im alten Tabakspeicher — imposantes Architekturdenkmal des 19.Jahrhunderts in Form einer Moschee und verwirrendes Element der Stadtsilhouette — neben dem geplanten Dienstleistungszentrum ein „freies“ Kunst- und Kulturzentrum noch Platz hat, ist inzwischen fraglich. Aber die Frauenkirche umrankt ein Gerüst, das täglich 24.000Mark kosten soll, die Türme des Zwingers haben neue Kupferdächer, und die ausgehöhlte Hochschule der Künste gegenüber dem Albertinum erhält wieder Geschosse, Treppenhäuser und Räume. Gleichzeitig erfüllt sich die Stadt den Berliner Traum, ihre Schloßruine nach den alten Plänen wieder aufzubauen, um darin die Bestände der Dresdner Gemäldegalerie endlich (vollständig) präsentieren zu können. Bisher war, im Turnus von sieben Jahren, eine wechselnde Auswahl im Albertinum gezeigt worden, und der Kurator rechnet vor, daß ein DDR-Menschenleben nicht ausgereicht hätte, den gesamten Bestand zu sehen. Dresden als Kulturmetropole: Das kostet Zeit und Geld.

Professionalisierungs- tendenzen

Das jüngste Großprojekt des Deutschen Historischen Museums entstand erstmalig in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Museen der CSFR, die an Konzeption und Bestückung maßgeblich beteiligt sind. Die Elbe ist ein binationaler Strom, Labe ihr böhmischer Name. In fünfzehn Kapiteln folgt die Ausstellung dem Strom verlaufskonform und flächendeckend durch Erdgeschoß und Halbparterre des weitläufigen Gebäudes und fädelt Landschaften, Kulturräume, Wirtschaftszentren und historische Ereignisse wie Perlen daran auf.

Diesmal fand die Pressekonferenz statt: An die 30 Journalisten waren gekommen, Erläuterndes aus neun (!) berufenen Mündern zu hören: Der Fluß als Lebensraum, als ökonomischer Faktor und als ökologisches Problem — das sind einleuchtende Kategorien, die die Komplexität des gestellten Themas, über Geschichte und Kultur entlang der Elbe hinaus, aktualisieren. Obwohl Summen nicht genannt wurden, war Geld das eigentümliche Zentrum der Veranstaltung. Da nützte es auch nichts, daß Sozialminister Geisler, dessen Ministerium das Museum untersteht, mit nachdrücklich zugekniffenen Augen über die sinnfällige Ähnlichkeit der Wörter Elbe-Lebe(n) philosophierte. Ungefragt klärte Christoph Stölzl, Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums, darüber auf, daß man gar nicht sagen könne, was das alles gekostet habe und drehte bei der wiederholten Danksagung an die Sponsoren beiläufig das Etikett seiner Mineralwasserflasche Richtung Auditorium. Und an Geld dachten offenbar auch jene, die es diesmal gar nicht ausgegeben, sondern wunderbarerweise einmal nicht einzusparen hatten: die Museumskollegen aus der CSFR, noch immer fassungslos über die Möglichkeit der Zusammenarbeit und auf sympathische Weise stolz, ihre Schätze präsentieren zu können; oder der Museumsdirektor aus Hamburg, in dessen Zettelkasten das Elbe-Projekt schon seit längerer Zeit gewuchert habe, der es sich in dieser Form aber nie hätte leisten können.

Verwirrung als Ausstellungskonzept

„Schon im ersten Raum werden Sie verwirrt sein, Sie werden nasse Füße bekommen. Diese Verwirrung ist Absicht.“ Mit diesen Worten entließ Ausstellungsmacherin Marie-Luise von Plessen in die Besichtigung, nicht ohne vorher in barschem Ton auf das größte, das kleinste, das schwerste und das leichteste Ausstellungsstück, schön zum Mitschreiben, hingewiesen zu haben.

Die Orientierung an der vom Verlauf des Stroms vorgegebenen Topographie erscheint bei einem Betrachtungszeitraum von immerhin 90 Millionen Jahren das einzig mögliche Ordnungsprinzip. Eine Enzyklopädie tut sich angenehm feuilletonistisch vor uns auf: Geologie und Paläontologie; Geschichte und Politik; Schiffahrt, Wirtschaft und Industrie; Umweltveränderung und Naturschutz; Kulturräume und Kulturstädte. Leitende Grundidee ist die Anknüpfung an die Tradition einer ganzheitlichen Erfassung der Umwelt, wie sie die gezeigten historischen Fluß-, Landschafts- und Naturbeschreibungen leisteten, bevor die Trennung der Disziplinen den Zusammenhang verstellte.

So betritt man denn nun das üppig gewundene Flußbett. Es ist das Leitfossil der Reise die Elbe hinunter. Sie beginnt im roten Quellgestein des Riesengebirges, mit versteinertem Getier und der ersten Generation von Geräten und Tabellarien zur Flußvermessung. Leise gurgelt es dabei aus einem Lautsprecher (später, bei Magdeburg etwa, wird es souverän rauschen, in Cuxhaven branden). In Kabinetten links und rechts des Flußlaufs die thematischen Schwerpunkte — Orte, Ereignisse, Entwicklungen, Funde. 800 Objekte sind zusammengetragen — vom Königsgrätzer Schlachtengemälde, böhmischem Fischerei- und Handwerkszeug, Zeugnissen aus Theresienstadt, Dresdner Barock, Meißner Porzellan, Reformationsdokumenten aus Wittenberg, von Plasten und Elasten aus Schkopau über das Dessauer Bauhaus, Elbbiber, „Atomkraft nein danke“-Plakate aus Brokdorf, bis zu Hamburgs Auswanderungsdampfern und der Mündungskarte bei Cuxhaven, die belegt, daß die Elbe eigentlich bis Helgoland fließt. In der Zwischenzeit hat sich das Blau des marmorierten Linoleumflußbetts grün-gelblich eingefärbt, um am Ende vom farblosen Grau der Nordsee verschluckt zu werden.

Klug hat sie es gemacht, die Ausstellungsmacherin, die hier an die komplexe Qualität ihrer Projekte „Berlin, Berlin“ (Mitarbeit) und „Bismarck“ (Ausstellungsleitung) anknüpft. Doch der Effekt dieser Großveranstaltungen ist in der ewigen Wiederkehr des gleichen Prinzips zuweilen auch ermüdend. Rhein, Spreewald und die Mecklenburgische Seenplatte jedenfalls warten schon auf ihre Bearbeitung.

Didaktik als endgültige Verwirrung

Das Lieblingsobjekt der Berichterstatterin ist ein obszöner Bienenstock, Mitte des 19.Jahrhunderts aus Holz in Litomerice gefertigt und Anlaß einer Geschichte geradezu schwejkscher Logik. Eine lebensgroße Frauengestalt in einem Empire-Kleid. Mit der linken Hand hat sie eine ihrer Brüste entblößt, fleischgewordene Blüte, ein Lockmotiv für die Bienen. Ihre rechte Hand hält eine Art Schälchen, in dessen Mitte sich das Einflugloch befindet — exakt in Höhe ihres Schoßes. Was aber will uns die Beschriftung weis machen? Und was sollen, folglich und folgsam, die armen Schüler in ihren Fragebogen hineinschreiben, der im übrigen so ausgeklügelt entworfen ist, daß den begleitenden Lehrern — nach Auskunft des Münchner Professors für Didaktik der Geschichte — nur noch die Aufgabe der „Disziplinierung“ ihrer Zöglinge bleibt? Das Ein- und Ausflugsloch der Bienen befinde sich im Handinneren der Frau. Da hat sich die versprochene Verwirrung dann doch noch eingestellt.

Die Ausstellung „Elbe-Labe. Ein Lebenslauf.“ ist ein Projekt des Deutschen Historischen Museums Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden, dem Nationalmuseum Prag, dem Museum für Hamburgische Geschichte und dem Altonaer Museum. Sie ist zu sehen: bis 20.9. 1992 im Deutschen Hygiene- Museum Dresden; vom 28.10. 1992 bis 3.1. 1993 in den Deichtorhallen Hamburg; vom 5.3. bis 30.5. 1993 im Nationalmuseum Prag. Der Katalog (Nicolaische Verlagsbuchhandlung) kostet in der Ausstellung 29Mark, im Buchhandel 49Mark.

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