: Sonnenbräune: traumhaft heimtückisch
Kein anderer Tumor nimmt so stark zu wie der „schwarze Hautkrebs“/ Kinder mit Sommersprossen sind besonders gefährdet/ Neues Diagnosegerät erhöht zwar die Früherkennungsquote, aber therapeutische Behandlungserfolge sind eher mager ■ Von Hanna Rheinz
Das maligne Melanom, wie der harmlose wissenschaftliche Begriff für den „schwarzen Hautkrebs“ lautet, gilt als äußerst heimtückische Krebsart. Gefährlich ist dieser Hautkrebs vor allem deshalb, weil er ungezielt „ausstreut“ und Tochtergeschwülste entwickeln kann.
Seit Mitte der siebziger Jahre haben in den westlichen Ländern die Neuerkrankungen rasant zugenommen. Während 1974 nur drei von 100.000 Einwohnern jährlich neu an Hautkrebs erkrankten, hat sich die Inzidenz gegenwärtig auf fünfzehn, in Australien sogar auf vierzig zu 100.000 erhöht: jeder hundertste Bürger ist heute in unseren Breiten hautkrebsgefährdet. Das ist das epidemiologische Fazit der 13. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie in München.
Dabei wurde diese Tendenz noch nicht einmal vom Ozonloch und dem Anstieg von Schadstoffen in der Umwelt ausgelöst. Vielmehr sind zunehmender Reichtum und mit ihm veränderte Lebens- und Freizeitgewohnheiten für die drastische Zunahme des malignen Melanoms verantwortlich. Sonne, Freizeitsport, der Urlaubsflug in die Tropen, ohne daß sich die Haut allmählich an die intensivere Bestrahlung gewöhnen kann, erweisen sich plötzlich als schädlich, ebenso wie ein Schönheitsideal, das sich am ewig sonnengebräunten Urlaubsfrischler orientiert, der immer so aussieht, als käme er gerade vom Segeltörn zurück. Exzessives Sonnenbräunen im Sommer, ausgiebige Solariumbesuche im Winter jedoch steigern die Bereitschaft der Haut zu pigmentieren und Naevi (Flecke) auszubilden, auf deren Boden sich bösartige Geschwülste entwickeln können.
Zwischen 11 und 14 Uhr die Sonne meiden
Jeder Sonnenbrand erhöht das Risiko, einmal ein malignes Melanom zu entwickeln. Besonders gefährdet sind Kinder und Personen mit Sommersprossen und starken Pigmentmalen, bei denen je nach Pigmentierung und Hauttyp das Hautkrebsrisiko im Gegensatz zu Kontrollpersonen bis um das Hundertfache erhöht sein kann. Um den besonders gefährlichen Sonnenstrahlen aus dem Weg zu gehen, empfehlen Hautärzte, zwischen 11 und 14 Uhr überhaupt nicht in der Sonne zu braten und Kinder schon früh mit dem Gebrauch von Cremes mit Lichtschutzfaktoren vertraut zu machen.
Entscheidend für die Qualität der Creme sei, ob sie auch nach dem Baden noch an der Haut haftet. Neben UV- und UVB-Strahlen, die den Sonnenbrand auslösen, legt auch der Hauttyp die Sonnenempfindlichkeit fest. Dunkelhäutigkeit — freilich nicht die künstlich erzeugte — stellt dagegen einen natürlichen Schutz gegen Hautkrebs dar. Daß hellhäutige Menschen ein hohes Risiko tragen, an Hautkrebs zu erkranken, zeigt nicht nur die Erfahrung von Hautärzten aus dem Orient, die nur selten unter ihren dunkelhäutigen Patienten maligne Melanome zu Gesicht bekommen, sondern auch die rasche Zunahme der Hautkrebsrate im Surferparadies Australien mit seinen oft von hellhäutigen Iren abstammenden Einwohnern. Darüber hinaus sind vermutlich genetische Faktoren beteiligt. Dies legen Erkenntnisse über die individuell verschieden ausgeprägte Sonnenempfindlichkeit nahe — ebenso wie die Beobachtung, daß es sogenannte „Melanomfamilien“ gibt, bei denen es zu einer statistisch signifikanten Häufung von Hautkrebsen kommt.
Jeder zehnte Patient, bei dem ein malignes Melanom diagnostiziert wird, hat bereits Tochtergeschwülste ausgebildet. Als Behandlungsmethode wird das chirurgische Entfernen des Tumors mit einem Sicherheitsabstand zum gesunden Gewebe angewandt. Im Gegensatz zur Chemotherapie, mit der nur selten ein Behandlungserfolg erzielt wird, empfehlen Experten eine kombinierte Immuntherapie mit Interferon und Interleukin. Diese Proteine stärken die Aktivität der körpereigenen Makrophagen und natürlichen Killerzellen bei ihrem Kampf gegen die Tumorzellen. Nachteil dieser Behandlung, die auf dem physiologischen Mechanismus der Tumorabwehr beruht: sie ist hoch toxisch und daher mit vielen Nebenwirkungen belastet.
Professor Tilgen von der Universitäts-Hautklinik Heidelberg stellt in dieser Woche in München außerdem das neue Verfahren der „Radiochirurgie“ vor, bei der durch gelenkte Strahlenbehandlung „ein zielsicheres Erreichen des Tumors“ ohne Operation möglich sei. Gerade bei Rezidiven könne dies die Lebensqualität entscheidend verbessern, meint Tilgen. Da bei immerhin 30 Prozent der Kranken ein Rückfall zu erwarten ist, gilt die engmaschige Kontrolle als das A und O der Nachsorge, die den Patienten, sofern er eine Vertrauensbeziehung zum Arzt aufbauen kann, zudem psychisch stabilisiert.
Der Dermatologe Gernod Rassner von der Universitäts-Hautklinik Tübingen empfiehlt daher, im ersten bis fünften Jahr nach der Erkrankung im Abstand von drei Monaten die Haut nach Rezidiven zu untersuchen und die Lymphknoten abzutasten. Danach könne die Frequenz der Untersuchungen auf sechs Monate verringert werden.
Dermatoskop nimmt Haut unter die Lupe
Auch eine Geräte-Neuentwicklung kommt den Hautkranken bei der Bekämpfung der Krankheit zugute:
Ähnlich wie der Internist mit dem Laparoskop eine Bauchspiegelung, mit dem Koloskop eine Darmspiegelung vornimmt und der Augenarzt den Augenhintergrund mit dem Ophthalmoskop betrachtet, verfügt der Hautarzt jetzt über ein Dermatoskop, mit dem er verdächtige Hautveränderungen unter die Lupe nehmen kann. Das Gerät vergrößert die Haut um das Zehnfache und erleichtert somit die Diagnose. Zusätzlich kann auch die Sonographie eingesetzt werden, um eine bösartige Tochtergeschwulst von einer banalen Entzündung zu unterscheiden, die ja ebenfalls zu tastbaren und schmerzhaften Lymphknotenveränderungen führt.
Entscheidend ist die Früherkennung des Hautkrebses. Je früher er entdeckt wird, desto weniger Metastasen kann er ausbilden und desto höher sind die Heilungschancen des malignen Melanoms — so lautet die griffige Formel der Experten. Durch Abtasten und Beobachten von Pigmentmalen und Hautveränderungen kann jeder einzelne übrigens aktive Prävention betreiben. Obwohl auch beim Hautkrebs Ausnahmen die Regel bestätigen — Melanome treten zuweilen an Hautpartien auf, die noch von keinem Sonnenbrand beschädigt wurden —, bleibt doch die Warnung, sich der Sonne nicht übermäßig auszusetzen.
Daß Blässe edel und die braun gegerbte Haut zwar nicht proletenhaft, so doch Vorbote von gleichfalls dunkel pigmentierten Geschwulstherden sei — dieses Umdenken freilich ist noch längst nicht in Sicht.
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