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Honecker soll vor Schalck-Ausschuß

■ Aufschlüsse über deutsch-deutsche Häftlingsfreikäufe erwartet/ Ärztliche Haftprüfung vereinbart/ Generalstaatsanwalt sieht Prozeß im „Grenzbereich der Justiz“

Berlin/Bonn (AFP/dpa/taz) — Der ehemalige DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker soll jetzt auch vor dem Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestages aussagen. Honecker habe maßgeblichen Einfluß auf zahlreiche Tätigkeiten des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski sowie des Firmenimperiums KoKo ausgeübt, erklärte der Obmann der CDU/CSU- Fraktion in dem Ausschuß, Joachim Hörster (CDU), in Bonn. Laut Hörster soll der ehemalige DDR-Chef vor dem Schalck-Ausschuß seine Rolle bei deutsch-deutschen Häftlingsfreikäufen und Familienzusammenführungen erklären. Honecker habe auch die politischen Vorgaben für die Gespräche festgelegt, die Schalck mit westdeutschen Politikern führte.

Der Berliner Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, Dieter Neumann, räumt inzwischen ein, das bevorstehende Verfahren gegen Honecker bewege sich im „Grenzbereich der Justiz“. Den Ausgang des voraussichtlich noch in diesem Jahr beginnenden Prozesses könne niemend vorhersagen. Neumann, der als Generalstaatsanwalt für die Arbeitsgruppe Regierungskriminalität verantwortlich ist, sagte weiter, die Staatsanwaltschaft sehe durchaus die rechtlichen Schwierigkeiten in dem Prozeß. Sie sei aber bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts gesetzlich verpflichtet, Anklage zu erheben. Dies habe seine Behörde nach intensiver Prüfung im Fall Honecker bejaht. „Ich hoffe, daß sich alle Verfahrensbeteiligten über die besondere Problematik des Verfahrens im klaren sind und das Verfahren sachlich angehen werden.“

Unterdessen klären sich auch die Umstände, unter denen Honecker die chilenische Botschaft in Moskau verlassen mußte. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel wurde Honecker unmittelbar vor seinem „Rauswurf“ aus der chilenischen Botschaft am vergangenen Mittwoch von Chiles Sonderbotschafter James Holger eine kurze Note überreicht, laut der die russische Regierung entschieden habe, dem deutschen Ersuchen auf Rücküberstellung nachzukommen. Das Magazin bildet in seiner neuesten Ausgabe dieses Schreiben ab, auf dem Erich Honecker handschriftlich vermerkte: „Unter Protest zur Kenntnis genommen.“

Auch der christdemokratische Präsident Chiles, Patricio Aylwin, hat mittlerweile die bisherigen Beteuerungen Chiles und Rußlands relativiert, Honecker habe die Moskauer Botschaft freiwillig verlassen. Alwyn rechtfertigte am Wochenende die Rückführung des 79Jährigen: er habe gewußt, daß er nur „zeitweise“ Gast der chilenischen Botschaft sein könne. Die mitregierenden Sozialisten, die sich für ein Asyl des ehemaligen DDR-Machthabers in Chile eingesetzt hatten, zeigten sich dagegen enttäuscht von der Rückführung. Inzwischen hat sich die zuständige Strafkammer, die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung auf die ärztliche Prüfung von Honeckers Haft- und Verhandlungsfähigkeit verständigt. Bei einer ersten Untersuchung nach seiner Einlieferung in Moabit hatten zwei Ärzte zunächst keine Anzeichen für eine Haftunfähigkeit festgestellt. Auch Honeckers Anwalt Nicolas Becker meinte am Sonnabend, sein Mandant wirke auf ihn „nicht hinfällig“. Honeckers letzte schwere Erkrankung, eine Nierenkrebsoperation, liegt inzwischen eineinhalb Jahre zurück.

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