Neue Hilfsaktion verzögert

■ Noch keine Einigung der Länder über die Aufnahme von weiteren 5.000 Flüchtlingen/ Seiters: Hilfe vor Ort hat Vorrang/ Moslemische Gegenoffensive/ „Politika“-Verstaatlichung zurückgewiesen

Bonn/Sarajevo/Belgrad (dpa/ AFP) - Die zweite Hilfsaktion zur Aufnahme weiterer 5.000 bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge kann aus organisatorischen Gründen nicht vor Mitte dieser Woche anlaufen. Währenddessen verstärkte sich in Deutschland und in den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens die Tendenz, den Flüchtlingen vorrangig nahe ihrer Heimat Zuflucht zu gewähren, anstatt sie in verschiedenen EG-Ländern zu beherbergen.

Wie der Sprecher des Innenministeriums, Roland Bachmeier, am Sonntag erklärte, konnte zwischen den Bundesländern noch kein endgültiges Einvernehmen über die Aufnahme des erwarteten zweiten Flüchtlingskonvois erzielt werden. Erst nach einer Einigung und der Mitteilung über freie Kapazitäten in Erstaufnahmelagern könne „grünes Licht“ für die Abfahrt der eingeplanten sechs Sonderzüge gegeben werden.

Innenminister Rudolf Seiters (CDU) betonte in der Welt am Sonntag, den Bürgerkriegsflüchtlingen sollte möglichst vor Ort geholfen werden. Diese Auffassung hatten auch der kroatische Botschafter in Bonn, Ivan Ilic, und der bosnische Vizepräsident Ejup Ganic vertreten.

In Bosnien-Herzegowina selbst haben die moslemischen Truppenverbände am Wochenende offenbar eine umfassende Gegenoffensive gestartet. Die amtliche Belgrader Nachrichtenagentur Tanjug meldete unter Berufung auf Angaben der Konfliktparteien, seit drei Tagen versuchten die moslemischen Kämpfer einen Korridor vom Südwesten der Herzegowina in die Hauptstadt Sarajevo zu öffnen. Dabei seien unter anderem die Ortschaften Trnovo und Rogoj, rund 30 Kilometer südlich der Hauptstadt, zurückerobert worden.

In Sarajevo wurden nach übereinstimmenden Angaben aus unterschiedlichen Quellen seit Freitag mehr als 20 Menschen getötet und mindestens 150 verletzt. Auch sechs ukrainische Blauhelme wurden verwundet, zwei davon schwer. Wie ein Offizier der UN-Friedenstruppen für Jugoslawien (UNPROFOR) mitteilte, wurden die beiden schwerverletzten UN-Soldaten nach Deutschland ausgeflogen. Die sechs Blauhelme gehören zur Bedienungsmannschaft eines Radargerätes zur Lokalisierung von Artilleriestellungen. In ihre Stellung war eine Mörsergranate eingeschlagen.

Auch in Kroatien gingen die Kämpfe weiter. In Slavonski Brod an der Grenze zu Bosnien wurde gestern Luftalarm ausgelöst, nachdem Hubschrauber der jugoslawischen Bundesarmee den Ort und mehrere umliegende Dörfer überflogen hatten. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) halten sich derzeit 40.000 Flüchtlinge in Slavonski Brod auf.

In der nur noch aus Serbien und Montenegro bestehenden Föderativen Republik Jugoslawien (FRJ) soll noch in diesem Jahr ein neues Parlament gewählt werden. Wie Tanjug meldete, schlug die Regierung von Ministerpräsident Milan Panic eine Verfassungsänderung vor, die die Wahlen zum Zweikammerparlament auf „spätestens“ 31. Dezember festsetzt. Das Parlament werde Anfang September über den Vorschlag abstimmen.

Die älteste serbische Tageszeitung Politika ist nach einem zweitägigen Streik gestern wieder an den Kiosken erschienen. Journalisten und Drucker des größten Zeitungsverlags Restjugoslawiens streikten, nachdem das serbische Parlament am Donnerstag das Gesetz zur Verstaatlichung des Unternehmens verabschiedet hatte. Doch der serbische Republikspräsident Slobodan Milosevic nutzte sein Vetorecht und unterschrieb das Gesetz nicht. „Dieses Gesetz ist verfassungswidrig“, entschied Milosevic.

Die Verabschiedung des Gesetzes war seit Tagen das wichtigste politische Thema Serbiens. Die alleinregierenden Sozialisten unter Milosevic hatten ohne Schwierigkeiten den Gesetzentwurf im von ihnen dominierten Parlament durchgesetzt. Aber die gesamte Opposition sowie Fach- und Interessengemeinschaften traten entschlossen gegen die Verstaatlichung des Unternehmens und vor allem der einflußreichsten Tageszeitung ein. Die 4.000 Beschäftigten traten in den Streik.

Mit seinem neuesten politischen Schritt hat Slobodan Milosevic, der starke Mann Serbiens, wieder die Spekulationen gestärkt, daß in seiner Sozialistischen Partei Uneinheit herrscht. Nachdem er das Gesetz an das Parlament zurückgeschickt hat, erwartet man in Belgrad, daß auch das Ende der Regierung des von Milosevic bestellten Radoman Bozovic abzusehen ist.