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Ein Kino mit Podium

Ein Interview mit der Schauspielerin Irm Hermann über Fassbinder und die Folgen  ■ Von Mariam Niroumand

taz: Wie war Ihr erster Eindruck von Fassbinder?

Irm Hermann: Ich lernte den Rainer 1965 durch eine Freundin kennen, die auch für den Journalisten Ivar Lissner gearbeitet hat, für den ich eine Zeitlang als Sekretärin tätig war. Bei der hat Rainer dann eine ganze Nacht lang so eine Art „Lore“- Roman vorgelesen, dabei etwa 100 Zigaretten geraucht. Ich fand ihn sehr faszinierend. Er kam mir vor wie ein Halbstarker; picklig und dick, aber mit einer ungeheuren Ausstrahlung, mit diesen wunderbaren Augen, die es bis zum Ende hatte.

Und da haben Sie alles stehen und liegen gelassen?

Rainer hat mich jeden Tag vom Büro abgeholt. Er stand immer schon ein halbe Stunde vor Büroschluß da und hat zum Fenster hochgeguckt. Ich war gar nicht mehr fähig zu arbeiten! Und dann hat er eben gesagt: „Wir könnten doch was anderes machen.“

War er damals noch auf der Schauspielschule?

Nein. Er lebte in so einer Art Niemandsland. Er hatte auch keine Jobs oder so. Aber er lebte mit jemandem zusammen; und als dann der „Stadtstreicher“ gedreht wurde, gab es die Produktionsgelder, von denen er leben konnte.

Wie ging es für Sie weiter, nachdem Sie im „Stadtstreicher“ aufgetreten waren?

Auf den vielen Spaziergängen durch den Englischen Garten kam Rainer auf die Idee, daß ich eine Schauspielagentur eröffnen soll. Ich bin also mit seinen Filmkopien und den Fotos von ihm und Hanna [Schygulla], die er von der Schauspielschule kannte, von Sender zu Sender gefahren. Wir sind mit seinen Filmen nach Oberhausen getrampt, aber sie wurden abgelehnt. Nur der Schlenter von der Bavaria hat ihn engagiert — für die Serie „Der Staudamm“. Die Rolle hat Rainer dann nicht gespielt.

Wollte der denn damals Schauspieler werden?

Nein. Er wollte auf jeden Fall Filme machen. Aber das war eben eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Wir trafen dann ein paar Leute vom „Action“-Theater, die kannte er von der Schauspielschule, und da übernahm er sofort den „Boten“ in „Antigone“. In „Die Verbrecher“ gab ich meine erste Theaterrolle; niemals werde ich diese Aufregung vergessen. Dann kam Jean Marie Straub und machte mit uns allen „Krankheit der Jugend“, was später als „Der Bräutigam, der Komödiant und der Zuhälter“ verfilmt wurde.

Welchen Einfluß hatte Straub inhaltlich auf die Truppe?

Der schlug genau in diese revolutionäre Kerbe; wir haben ja alle aufbegehrt gegen dieses rechte bürgerliche Milieu, gegen Strauß. Wir sind auf die Märsche gegangen, haben das Springer-Haus mitbesetzt... Das ganze Action-Theater ist da mitgegangen, auch Fassbinder.

Welche Rolle spielte denn das Theater in diesem Prozeß?

Das Theater war ein Forum, wo man öffentlich seine Meinung kundtat. Wir spielten Stücke wie „Axel Caesar Harmann“, was damit endete, daß wir die Zuschauer mit einem Feuerwehrschlauch bespritzten.

Theater konnte man das eigentlich nicht nennen; es war ja eigentlich ein Kino mit Podium und Klappstühlen. Die Leute haben da übernachtet, weil sie keine Wohnung hatten, und man trank diesen billigen Lambrusco... da ging es schon recht anarchisch zu.

Wie sind Sie als Schauspielerin mit Fassbinders restringierter Kunstsprache zurechtgekommen? Hätten Sie manchmal lieber expressiver gespielt?

Nein, das war ja genau seine Stärke; das ist auch heute noch stark. Ich habe kürzlich „Katzelmacher“ noch einmal gesehen. Es drückt genau das Lebensgefühl dieser Schicht und ihre Haltung zu Fremden aus. Als Schauspielerin führt man das eben vor; man empfindet da unter Umständen sehr wenig.

Wie kam eigentlich die Figur zustande, die Fassbinder aus Ihnen gemacht hat? Wurden einzelne Mitglieder der Truppe „vis-à-vis“ den anderen aufgebaut; quasi eine spielt die zickige Ehefrau, die andere die Femme fatale?

Das würde ich selber gerne wissen. Das ist eben Schicksal, das bleibt ein Geheimnis. In jedem Fall hatte es nichts mit Ausbeutung zu tun, wenn Sie darauf hinauswollen. Es waren einfach genau die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt zusammengetroffen.

Wie kam es dann zu den Zuständen, wie sie in „Warnung vor einer Heiligen Nutte“ beschrieben werden, wo der Regisseur als Tyrann erscheint und die Crew sich gegenseitig fertigmacht?

Er hatte angefangen, Schauspieler von außen zu holen, schon für „Liebe ist kälter als der Tod“, den Ulli Lommel zum Beispiel. Da war uns klar, daß ihm für seine Filme die alte Gruppe nicht mehr genügte. Er wollte Figuren haben, die einen Namen, ein Charisma im Film hatten. Als es mit dem Theater zu Ende gegangen war, da hatte er auch angefangen, die Hanna Schygulla als Star aufzubauen. Da fing das Kollektiv an, auseinanderzubrechen, und er hat zu manchen gesagt „dich brauche ich jetzt nicht mehr“.

Wie würden Sie denn Ihre Entwicklung vom „Stadtstreicher“ bis zu „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel“, Ihrer letzten größeren Rolle bei Fassbinder, beschreiben?

Ich war ja als Autodidaktin zum Theater gekommen und hatte also als Schauspielerin einiges gelernt bis zu „Mutter Küster“. Aber in den Rollen war ich eben sehr gefangen. Fassbinder hat meine Unsicherheit, meine Unbewußtheit sehr stark benutzt. Er hat zum Beispiel Eifersuchtsszenen provoziert, und diese menschlichen Unzulänglichkeiten hat er dann auf die Rollen übertragen. Ich spielte ja meist eine zickige oder leicht boshafte Person. Das war eben das Bild, das er von Frauen hatte — wenn man die Madonna einmal ausnimmt.

Was für ein Verhältnis hatten Sie zu dieser zickigen Figur?

Manche Rollen habe ich ganz gerne gespielt, zum Beispiel die Marlene in der „Petra von Kant“; Zeuge zu sein fand ich gar nicht schlecht. Später dann, in „Angst vor der Angst“ oder „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel“, da war es nur noch das Klischee vom Klischee. Da habe ich es so satt gehabt, daß ich wußte: Das will ich nicht mehr. Das habe ich wirklich gehaßt. Man konnte es aber nur mitmachen oder eben aussteigen.

Von außen scheint es, als sei die Kommunikation in der Gruppe so sternförmig verlaufen, immer nur über Fassbinder vermittelt, als hätten die Einzelnen nie miteinander gesprochen.

Genauso war es. Eine Freundschaft konnte da nicht entstehen. Es war eine Notgemeinschaft. Wenn zwei miteinander geredet haben, ist er ja immer dazugekommen.

Wann hörte Ihre Zusammenarbeit auf?

Ich lernte 1976 meinen jetzigen Mann kennen, der war von Fassbinder ans Theater am Turm in Frankfurt gerufen worden. Als ich schwanger wurde, kam es zum Bruch. Er hätte gerne ein Kind gehabt. Ich habe mich dann von ihm gelöst, mich für einen anderen Mann entschieden, und eben für das Kind.

Im Kreißsaal hat er mich dann angerufen, in der Geburtsstunde, daß ich das Kind Franz nennen soll [Franz Walsh war Fassbinders Pseudonym; Franz für Biberkopf und Walsh für Raoul Walsh, d. Red.], was ich dann auch getan habe...

Was haben Sie nach dem Bruch gemacht?

Ich habe erst mal ein Jahr ausgesetzt und bin nach Indien gegangen, um mich von dieser ganzen Sache zu befreien. Das hat wirklich Jahre gedauert, bis ich mich innerlich und äußerlich davon gelöst hatte. Ich war ja auch lange Zeit in der Öffentlichkeit dieses Klischee, ein Produkt von Fassbinder. Aber ich bin dann 1979 nach Berlin gegangen zu Kurt Hübner an die Freie Volksbühne, habe Filme gemacht mit Geissendörfer oder Adlon.

Was haben Sie bei Fassbinder gelernt, und was später?

Bei Fassbinder habe ich gelernt, wie man sich vor der Kamera bewegt. Nach der Arbeit mit Fassbinder habe ich versucht, jede Rolle mit dem zu spielen, was ich über Menschen weiß, also nicht mehr dieses „Vorführen“, sondern es geht jetzt mehr um Einfühlung in eine Figur. Ich habe mich freigespielt.

Welchen Typus würden Sie gern spielen?

Therese Giehse.

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