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Toter als die eh schon toten Untoten

■ Der phantastische Film in der Krise? Heute beginnt das »Fantasy Filmfest« im Eiszeit und im Filmpalast Berlin

Der phantastische Film steckt in einer Krise — jedenfalls im Kino. Das Genre hält sich mit dem Videoverleihgeschäft über Wasser, aber es wird weniger gedreht als noch vor ein paar Jahren, und viele Filme bekommen erst gar keinen Verleih mehr. Um so wichtiger für die eh schon toten Untoten, die armen Monster und die noch rotierenden Kreissägen scheint das »Fantasy Filmfest« zu werden, das seit sechs Jahren von »Rosebud Entertainment München« und den Hamburger »Alabama Productions« zusammengestellt wird und dieses Jahr durch vier deutsche Städte zieht.

Aus den Fehlern der Vergangenheit hat man versucht zu lernen. Das Charlottenburger Kant-Kino, in dem das Festival in den beiden letzten Jahren stattfand, hat wegen mangelnder Zuschauerresonanz kein Interesse mehr an der Veranstaltung. Duch die Verteilung auf die beiden Kinos Eiszeit in Kreuzberg und den Film-Palast am Ku'damm soll jetzt sowohl das durchschnittliche Uraufführungs-Publikum angesprochen werden als auch die Klientel, die einen Besuch in einem Off-Kino favorisiert. Anstatt das Programm wie früher über fast zwei Wochen zu dehnen, sind es diesmal nur fünf Tage und sämtliche Programmschienen beider Kinos besetzt. Um eine Festivalstimmung zu ermöglichen, haben die Veranstalter den »Laden für Nichts«, gleich neben dem Eiszeit, für die fünf Tage gemietet. Dort soll zusätzlich noch ein Video-Programm laufen und kommunikative Atmosphäre entstehen.

Wenige Klassiker werden gezeigt, doch nichts, was den Namen Retrospektive verdient hätte. Star des historischen Rückblicks ist — wie könnte es anders sein — Boris Karloff. Sowohl in »The Ghost of Frankenstein« (1942) als auch in »The Black Cat« (1934, auch dabei: Bela Lugosi) spielt er die Hauptrolle. Der interessanteste Film dürfte aber wohl der erste »King Kong« sein, der in einer kürzlich rekonstruierten Fassung läuft, die einige Sequenzen enthält, die 1933 der Zensur zum Opfer gefallen waren.

Die Krise des phantastischen Films und die daraus resultierende Notwendigkeit für ein solches Festival zeigt allein schon die Tatsache, daß kaum einer der neuen Filme bisher einen Verleih gefunden hat. Selbst »Cold Heaven«, das diesjährige Werk eines solch bekannten Regisseurs wie Nicolas Roeg (»Wenn die Gondeln Trauer tragen«, »Track 29«), wird in diesem Jahr höchstwahrscheinlich nur seine Video-Premiere erleben. Tatsächlich ist diese Entscheidung der Verleiher berechtigt. Das, was in Roegs früheren Filmen öfter schon anklang, dieser unmotivierte, unverständliche Katholizismus, bricht sich in »Cold Heaven« endgültig Bahn: Die Jungfrau Maria will eine Wallfahrtsstelle und erscheint deshalb einer Arztfrau auf gar mysteriöse Weise, während ihr tödlich verunglückter Gatte — anstatt begraben zu werden — sich quietschfidel aus dem Krankenhaus davonmacht. Ein Film mitguten Momenten, einer stahlblauen bedrohlichen Atmosphäre, aber halt auch mit dieser dämlichen Spiritualität. Am Ende gibt es ein gar herzzerreißendes Plädoyer für die Freuden der ehelichen Treue, gehalten vom jugendlichen Priester — einfach ekelhaft.

Fast alle Filme sind Erstaufführungen. So auch »Mutronics«, eine Horrorkomödie mit guten Special Effects, die den Teeniemarkt erobern will. Die Menschen, die sich in steinzeitliche Monster verwandeln, behalten auch nach ihrer Mutation ihre liebevollen oder weniger schönen Eigenschaften. Hier ist nichts ernst gemeint, »Mutronics« ist ein durchaus intelligentes Spiel mit den Klischees und den Erwartungen des Zuschauers. Definitiv ungruselig, dafür ausgesprochen komisch.

»Waxwork II«, wieder von Anthony Hickox, greift das Erfolgsrezept des ersten Teils auf und modernisiert das Thema von »Alice im Wunderland«. Nur daß in der Moderne Sarah und Mark durchs Horrorland reisen. Auf ihrem Weg durch verschiedene Zeitzonen begegnet ihnen ein ganzes Arsenal an Gestalten aus der Geschichte des Horrorfilms: Baron Frankenstein und sein Monster, Der Rabe von Edgar Allen Poe, Jack The Ripper, Dr. Jeckyl & Mr. Hide, Nosferatu, die abgehackte Hand aus »Tanz der Teufel«, Godzilla, »Aliens« und viele mehr. Zusätzlich gibt es auf der Zeitreise noch Ritterfilm und in Nebenrollen tauchen solche bekannten Schauspieler wie John Ireland, David Carradine und der Ex-Spandau-Ballett-Musikus Martin Kemp auf. Zwar hat »Waxwork II« ein paar Längen, ist aber doch ein netter Spaß, weil die Zitate offensichtlich genug sind, um in jedem Fall erkannt zu werden.

Daß in Finnland auch noch andere als die Gebrüder Kaurismäki Filme machen, zeigt »Street Weepers«, die reichlich dämliche Geschichte der Familie Kyyrölä, die eigentlich schon fast vollständig verschieden ist. Nur der leicht debile Sohn ist noch am Leben und wiederbelebt in den ersten Minuten mit Hilfe der finnischsten aller finnischen Erfindungen, der Sauna, nacheinander Mutter, Bruder und Vater. Doch nach den ersten vielversprechenden zehn Minuten entwickelt sich eine Klamotte, die weder lustig noch gruselig, noch sonstwas ist. Der finnische Humor scheint ein reichlich kindischer zu sein. Auch eher hausbacken und zudem schon etwas älter, nämlich von 1990, ist »Two Evil Eyes«, ein Episodenfilm der beiden Altmeister George Romero und Dario Argento. Romeros Episode strotzt nur so von Klischees, die längst schon täglich im RTL-Spätprogramm verbraten werden. Auch Argento macht's nicht viel besser, aber er hat wenigstens Harvey Keitel.

Die eigentlichen Höhepunkte des Festivals liegen aber leider eher im Non-Fantasy-Bereich. Da wäre einmal »Liebestraum«, ein Thriller ohne jede Leiche. Alles dreht sich um einen längst vergangenen Mord, aber trotzdem schafft Mike Figgis beklemmende Bilder, die doch nie in Gewalt münden. In guter alter Tradition, fast wie bei Hitchcock, spielt sich alles im Kopf des Zuschauers ab. Personelle Kontinuität beweist der beeindruckende Auftritt der Hitchcock-Schauspielerin Kim Novak, entsprechend gealtert. Ebenso wie »Liebestraum« hat auch »Paris Trout« bisher keinen Verleih. Also bietet dieses Festival vielleicht die einzige Möglichkeit den wieder mal grandiosen Dennis Hopper wieder mal als Manic auf der Leinwand zu erleben. Er spielt den Ladenbesitzer Paris Trout, der ein schwarzes Mädchen tötet, und keinen kümmert es. Wir sind in den Südstaaten, selten wurde ein gnadenloseres Bild der nicht nur dort existierenden Rassendiskriminierung gezeichnet.

Absoluter Höhepunkt des Festivals neben dem demnächst anlaufenden »White Sands« mit Mickey Rourke und Willem Daffoe, ist »Reservoir Dogs« — auch bald im Kino und ein weiterer Auftritt für Harvey Keitel. Das Debüt von Quentin Tarantino dürfte durchaus Chancen haben, der beste Film der Saison zu werden. Keitel, Tim Roth, Chris Penn, Michael Madsen und Tarantino selbst agieren als ein Haufen Gangster, die nach einem blutig mißglückten Juweliersraub in einem Lagerhaus den Verräter suchen. Fast wie ein Kammerspiel inszeniert, hat »Reservoir Dogs« eine Intensität und allgemeingültige Parabelhaftigkeit, die an Peckinpahs »The Wild Bunch« erinnert. Möglicherweise kommt Harvey Keitel zur Aufführung am Freitag im Filmpalast nach Berlin. Thomas Winkler

Heute bis Sonntag im Eiszeit (Zeughofstr. 20) und im Filmpalast (Kudamm 225). Genaueres im Programmteil.

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