DIE HÜTERINNEN DER FERNBEDIENUNG Von Andrea Böhm

Es gibt ihn doch — den pfiffigen Sportjournalisten mit gesundem Menschenverstand und Gespür für den gehobenen Trend. Er heißt Dick Ebersol, ist Sportchef beim drittgrößten US-Fernsehsender NBC. Der hat sich die Übertragungsrechte für die Olympischen Spiele in Barcelona schlappe 400 Millionen Dollar kosten lassen. Daraufhin hat Ebersol ein paar schlaflose Nächte gehabt — geplagt vom Alptraum, die US-Fernsehzuschauer könnten diese Anstrengungen womöglich nicht honorieren. Aber der Mann hat den Stein der Weisen entdeckt — die Frauen. Die üben zur besten Sendezeit in den USA, genannt „Prime Time“, eine unheimliche Macht in den USA aus: Sie kontrollieren von Manhatten bis Suburbia die Fernbedienung.

Jetzt erzähle mir keiner, Frauen in den USA wollten keinen Sport sehen. Natürlich wollen Frauen Sport sehen, aber vielleicht nicht das, was Männer dafür halten. Fußballspieler, die statt einer ordentlichen Flanke den Zielsprung gegen das Kreuzband im gegnerischen Knie beherrschen; Zeitlupenwiederholungen von aufplatzenden Augenbrauen bei Boxern; ausgewachsene Männer in Strampelanzügen, die stundenlang versuchen, mit einem Holzknüppel auf einen Ball einzudreschen — genannt Baseball; das US-Volleyballteam der Männer — ein Haufen grölender „beach boys“, die sich nach der Fehlentscheidung eines Schiedsrichters aus Protest die Köpfe rasiert haben. Jetzt sehen sie aus wie die Betriebssportgruppe aus Tschernobyl; und dann noch die Basketballmannschaft, die sich selbst in aller Bescheidenheit zum „dream team“ erklärt hat. Das ist ein patriotisch verbrämter Geschäftsabschluß der besten und teuersten Spieler der US-Profiliga, die in diesem Turnier soviel verloren haben wie ein Flugzeugträger beim Segelwettbewerb.

Damit die Hüterinnen der Fernbedienung sich nicht gelangweilt abwenden und durch die Kanäle zappen, präsentiert ihnen Ebersol den Sport als „Soap Opera“. Täglich werden die Olympioniken daheim vor der Röhre über die Chemotherapie der 100-Meter-Siegerin, den todkranken Freund der Radrennfahrerin oder den Todesfall in der Familie des Brustschwimmers informiert — unterlegt mit tränenreichen Schilderungen und Softrock-Videos.

Ansonsten heißt die Devise: Wenig Schweiß und viel Grazie. Das Rezept ist erfolgreich, die Einschaltquote zeigt nach oben. Die amerikanische TV-Konsumentin sieht lieber zu, wenn die überzüchteten US- Turnhühnchen mit glasigen Augen über den Schwebebalken hopsen. Der ebenso überzüchtete Gewichtheber, der sich mit animalischer Atemtechnik die Bandscheiben ruiniert, wird weggeknipst. Mutanten wie Bahnradfahrer, die aussehen wie Flitzkäfer aus dem Windkanal, sind „out“. Hübsche Schwimmer, groß, schlank und naß (vom Wasser) sind „in“. Ebenso Turmspringer — wenn sie nicht wie der Deutsche Albin Killat vor Kamera und Kampfrichter einen Bauchklatscher machen. Das kann die Fernsehzuschauerin im heimischen Schwimmbad selber.

Den Ladies die Leichtathletik schmackhaft zu machen, ist schwieriger. Denn Leichtathleten schwitzen, keuchen, verkrampfen und ziehen Grimassen. Da kann Dick Ebersol froh sein, daß das neue US-Idol in dieser Sparte weiblich ist: Jackie Joyner-Kersee heißt die Königin, Siegerin im Siebenkampf. Die Frau ist mindestens so gut wie Carl Lewis und Boris Becker zusammen — und sieht beim Laufen viel schöner aus.