Somalia — ein Land stirbt aus

■ US-Aid-Beamter: Drei Viertel aller Kleinkinder Somalias sind in sechs Monaten tot/ Lebensmittelhilfe ist da — aber Verteilung ist kaum möglich/ amnesty international geißelt „Menschenrechtsdesaster“

Berlin (taz) — Ein Volk stirbt, die Welt schaut zu. Nicht anders läßt sich die Situation in dem von endlosen Kriegen zerstörten Somalia beschreiben. Jedes vierte Kind unter fünf Jahren ist bereits tot, in sechs Monaten werden 75 Prozent der Kleinkinder nicht mehr am Leben sein. Von den heute 6,5 Millionen Einwohnern Somalias sind dann noch fünf Millionen übrig, eine ganze Generation ist ausgelöscht.

Diese Zahlen nannte jetzt James Kunder, hoher Mitarbeiter der amerikanischen Entwicklungsbehörde US-Aid, nach einem zweitägigen Besuch der Hauptstadt Mogadischu. Es ist, so Kunder, „die schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt“. Seine Angaben werden von anderen Hilfsorganisationen bestätigt. Die britische „Save the Children“ schätzt die Zahl der täglich sterbenden Kinder in der Hauptstadt auf zweihundert. In den von auswärtiger Hilfe abgeschnittenen Provinzstädten ist die Situation noch dramatischer.

Die bisherigen Hilfslieferungen reichen nicht aus: Monatlich, so Kunder, kommen gegenwärtig 15.000 Tonnen Lebensmittel ins Land — den Bedarf schätzt das Internationale Rote Kreuz auf 35.000. Zwar beschloß der Weltsicherheitsrat am 27. Juli die Einrichtung einer Luftbrücke für Hilfsgüter. Aber auch dies wird nur dann etwas nützen, wenn die Verteilung der Lebensmittel gesichert ist.

„Ohne jeden Zweifel ist die Errichtung grundlegender Sicherheitsstrukturen das fundamentale Problem in Somalia“, sagt Kunder. „Die Helfer kommen einfach nicht gegen die bewaffneten Patrouillen an“. Gemeint sind die unzähligen Bürgerkriegsarmeen und Milizen, die in Abwesenheit einer funktionierenden Regierung zum einzigen Ordnungsfaktor in Somalia geworden sind. Kunder unterstützt daher die UNO- Überlegung, 500 bewaffnete Soldaten zum Schutz von Hilfslieferungen nach Mogadischu zu entsenden.

Denn, sagt er, die Möglichkeiten zur Hilfe sind da: „Der Hafen von Mogadischu quillt über mit 7.000 Tonnen Lebensmitteln, während einen Kilometer weiter Somalis verhungern.“ 150.000 bis 200.000 weitere Tonnen könnten sofort geliefert werden, wenn es im Land sichere Transportwege gäbe.

Wie schwierig das ist, zeigen Berichte aus Somalia selbst. Am Sonntag, so ein somalischer Radiosender, griff eine selbsternannte „Somalische Befreiungsarmee“ die Ortschaft Baydhabo an und erbeutete eine Lagerhalle mit 2.000 Tonnen Lebensmitteln. Mehrere Bewohner der Ortschaft wurden bei dem Versuch, die Plünderung zu verhindern, getötet. In Mogadischu lassen UNO- Organisationen ihre Transporte längst von den jeweiligen bewaffneten Gruppen gegen Bezahlung bewachen. Der Schutz von Hilfslieferungen ist dort zu einer der wichtigsten Arbeitsmöglichkeiten geworden.

Mit welcher Brutalität die seit Monaten herrschenden Rivalitäten zwischen somalischen Klans ausgetragen werden, zeigt ein neuer Bericht von amnesty international (ai). „Neben Hungersnöten, Armut und Dürre bedrohen seit Ausbruch der blutigen Machtkämpfe zwischen rivalisierenden Klans auch folternde, mordende und plündernde Soldaten das Leben weiter Teile der Zivilbevölkerung“, schreibt die Organisation, die von einem „Menschenrechtsdesaster“ spricht.

„Alle Seiten“, so ai, seien daran beteiligt, daß Zivilisten „je nach Klanzugehörigkeit wahllos getötet, vergewaltigt und verstümmelt“ würden, „wobei sich die Täter in einem völlig rechtsfreien Raum“ bewegten. Der Terror könne Jahre weitergehen, wenn der „tödliche Kreislauf von Gewalt und Vergeltung“ nicht durchbrochen würde. D.J.