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Freispruch für Inge Viett gefordert

Verteidigung: Der ehemaligen RAF-Aktivistin ist kein Mordvorsatz beim Schuß auf einen Polizisten nachzuweisen  ■ Aus Koblenz Gerd Rosenkranz

Obwohl Inge Viett mit ihrem folgenschweren Schuß auf den französischen Polizisten Francis Violleau im Sommer 1981 schwere „moralische Schuld“ auf sich geladen hat, ist die frühere Aktivistin der „Bewegung 2.Juni“ und der RAF nach dem Buchstaben des Gesetzes freizusprechen. Dieses Fazit zog gestern vor dem Oberlandesgericht Koblenz der Frankfurter Viett-Anwalt Jürgen Fischer nach einem dreistündigen Versuch, die wilde Verfolgungsjagd in der Pariser City minutiös zu rekonstruieren.

In seinem Plädoyer widersprach die Verteidigung vehement der Behauptung der Bundesanwaltschaft, ihre Mandantin habe den Polizisten, der seither querschnittsgelähmt ist, „mit ungewöhnlicher Kaltblütigkeit“ ermorden wollen. Die Anklagebehörde hatte deshalb vergangene Woche eine lebenslange Freiheitsstrafe verlangt. Fischer warf der Bundesanwaltschaft vor, sie setze auf „Emotionalisierung“ statt juristische Argumentation.

Inge Viett habe seinerzeit keinesfalls gezielt gehandelt, sondern im Gegenteil panisch reagiert, als der Polizist sie wegen eines fehlenden Helms mit ihrem Moped stoppen wollte. Während ihrer Flucht habe sie jeden Überblick verloren und den Beamten am Ende mit ihrer Waffe lediglich bedrohen, jedenfalls zu keiner Zeit ermorden wollen. Als Reflex auf den Griff ihres Gegenübers zu seiner Waffe oder zu seinem Funkgerät habe sie versehentlich geschossen, sich abgewandt und ihre Flucht fortgesetzt, ohne zu wissen, ob ihr Schuß überhaupt getroffen habe. Viett, so das Resümee der Verteidigung, wollte den Polizisten zu keiner Zeit töten, sie habe dies nicht einmal billigend in Kauf genommen. Deshalb habe sich die Angeklagte zwar der „schweren Körperverletzung“ schuldig gemacht, die jedoch sei inzwischen verjährt. Es bleibe nur der Freispruch.

Mit dem bevorstehenden Urteil gegen Inge Viett wird die Prozeßserie gegen jene RAF-Aussteiger abgeschlossen, die sich Anfang der 80er Jahre in die DDR zurückgezogen hatten und dort nach der Wende festgenommen worden waren. Im Unterschied zu den meisten anderen Gefangenen dieser Gruppe bekennt sich die 2.-Juni-Aktivistin der ersten Stunde zu ihren Taten, ohne jedoch frühere Mitglieder der Gruppe zu belasten. Die Bundesanwaltschaft hat sich deshalb gegen das Ansinnen der Verteidigung gewandt, dennoch die Kronzeugenregelung auf ihre Mandantin anzuwenden. Von dem Urteil wird auch ein Anhaltspunkt dafür erwartet, wie die Gerichte in Zukunft — nach dem von der RAF angekündigten „Waffenstillstand“ — mit Aussteigern umgehen, die nicht bereit sind, frühere Kampfgefährten zu belasten. Die Plädoyers der Verteidigung dauerten gestern bei Redaktionsschluß noch an. Das Urteil wird für Ende nächster Woche erwartet.

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