: Der Denkmalssturz
■ Vor 25 Jahren kippten Studenten das Standbild des Afrika-Eroberers und Mitbegründers der Hamburger Uni, Hermann von Wissmann, von seinem Sockel - eine symbolische Abrechnung mit dem Kolonialismus. Der Schriftsteller...
, von
seinem Sockel — eine symbolische Abrechnung mit dem Kolonialismus.
Der Schriftsteller Peter Schütt, damals dabei, erinnert sich.
Es war nicht irgendein Denkmal. Es war berühmt und berüchtigt und stand an herausragender Stelle, heiß geliebt von den einen, kalt gehaßt von dem verlorenen Häuflein der Andersdenkenden. Es hatte eine lange Geschichte hinter sich, und die war aufs engste verknüpft mit der Kehrseite der Hamburger Universitätsgeschichte. Es war das Denkmal des ehrenwerten Freiherrn Hermann von Wissmann, des Eroberers von Deutsch- Südwest- und Deutsch-Ostafrika, des ruhmreichen Kolonialunterdrückers und Menschenschlächters. Wie eine Verkörperung des arischen Herrenmenschentums sah die Figur auf dem Sockel aus. Der Bart war wilhelminisch gezwirbelt, der Säbel preußisch gezückt, die Stiefel waren deutschnational geschnürt. Zu Füßen des edlen Mannsbildes kauerten vier Eingeborene neben vier erlegten Löwen, um die Unterwerfung von Mensch und Tier unter die Vorherrschaft des weißen Mannes sinnfällig zu machen.
Das schaurig schöne Denkmal hatte zunächst vor dem deutschen Gouverneurspalast in Daressalam gestanden. Es war 1914 bei der Besetzung Ostafrikas durch britische Truppen von den neuen Kolonial-
herren in Sicherheit gebracht und nach dem Ersten Weltkrieg vom Deutschen Kolonialverein für die beträchtliche Summe von 13000 Pfund freigekauft worden. 1922 wurde das Denkmal feierlich vor dem Hauptgebäude der Hamburger Universität wiederaufgestellt. Der Standort war nicht zufällig gewählt worden. Die Hamburger Universität war erst 1909 als „Deutsches Kolonialforschungsinstitut“ gegründet worden. Kriegsveteran von Wissmann hatte zu den Gründern gezählt und zu Anfang wesentlichen Einfluß auf die Inhalte von Forschung und Lehre genommen.
Sein Denkmal hatte seither alle Stürme der Zeit überstanden, bis ein Trupp des Hamburger Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am 8. August 1967 seinem aufrechten Stand ein Ende setzte, am hellichten Tage, vor den Augen der Öffentlichkeit, der Universitätsleitung und der Polizei.
Im Sommer 1967, nach dem Besuch des Perserschahs in der Bundesrepublik, hatten wir begonnen, unsere Aktion gründlich vorzubereiten. Ein Freund und Mitstreiter aus dem bürgerlichen Lager, der Filmemacher Theo Gallehr, dokumentierte unsere Debatte und auch das Wissmann-Attentat selber. Sein Film „Landesfriedensbruch“ entstand zwar im Auftrag des NDR, aber er schmorte fast zwei Jahrzehnte in den Archiven des Senders, ehe er 1988, zum 20. Jahrestag der studentischen Protestbewegung, wenigstens im Dritten Programm ausgestrahlt wurde.
Am Beginn unseres theoretischen Klärungsprozesses stand wie immer die Gewaltfrage. Gewalt gegen Sachen: ja, Gewalt gegen Personen: nein, lautete die Linie. Aber was war mit Gewalt gegen Denkmäler? Sollten wir nicht mit friedlichen Mitteln versuchen, das Schandmal fortzuschaffen? Mit einer Unterschriftensammlung, einer Petition an die Hamburger Bürgerschaft, einem Anti-Wissmann-Tribunal? Wir kamen zur Einsicht, daß diese Methoden wenig Aussicht auf Erfolg hatten, da wir unsere umstürzlerischen Ideen einfach nicht für mehrheitsfähig hielten. So blieb nur die direkte Aktion. Wir verfaßten und verteilten ein Flugblatt, auf dem stand: „Laßt tausend Wissmänner platzen! Am Freitag, dem 8. August 1967, stürzt um 17.00 c.t. im Garten der Universität ein berühmt-berüchtigter Kolonialschlächter von seinem Sockel. Und manches andere fällt mit. Wir müssen also damit rechnen, daß uniformierte Kolonialistenschützer sich zu einem Po-In, zu einem Polizei-In, einfinden und sich in unsere Sache einmischen werden.“
Und so kam es. Zum angekündigten Termin hatten sich an die 100 Studenten und Neugierige am Tatort versammelt, unter ihnen zwei Filmteams, die sich ständig in die Quere kamen, das unseres Freundes Theo Gallehr und das vom Landesamt für Verfassungsschutz, etliche Journalisten und alle uns vertrauten Hamburger „Popos“, die ewig lächelnden Vertreter der Politischen Polizei. In respektvoller Entfernung vom eigentlichen Schauplatz des Geschehens stand die Polizei bereit, samt Mannschaftswagen, Wasserwerfer und Gefangenentransportfahrzeug.
Trotzdem war die Stimmung eher sommerlich heiter, unsere Zuschauer erwarteten ein Happening, keine Konfrontation mit der Staatsmacht. Ich kletterte unter dem Beifall der Schaulustigen auf das Denkmal, hockte mich auf die Schultern des stolzen Herrenmenschen und begann, antikolonialistische und antimilitaristische Verse zu rezitieren. Die Refrains bestanden zumeist aus Hochrufen auf Ho Chi Minh, Che Guevara oder Patrice Lumumba und wurden vom Publikum begeistert nachgesprochen. Dann stiegen mehrere Mitstreiter hinzu, von unten wurde uns ein Strick hochgeworfen, und mit den Worten: „Denk' mal, Kolonialschlächter, Deine letzte Stunde hat geschlagen!“ legten wir der Wissmann-Statue gemeinschaftlich eine Schlinge um den Hals und seilten uns ab. Unter dem Gesang der Internationalen griffen danach 20, 30 Mitverschworene zum Seil und begannen mit vereinten Kräften, daran zu zerren und zu ziehen. Wissmann geriet schon bald ins Wanken, aber sein Bronzeleib erwies sich als erstaunlich elastisch und biegsam. Er neigte sich zwar zur Seite, aber schnellte dennoch wieder in seine Ausgangsstellung zurück. Da ertönte ein schriller Pfiff, ein Polizeilautsprecher forderte uns auf, unser Tun einzustellen, und dann stürzten aus allen Himmelsrichtungen mit Gummiknüppeln bewaffnete Polizisten auf uns zu. Sie entwanden uns den Strick, so daß das Denkmal in letzter Minute vor dem endgültigen Umfall gerettet wurde. In bedrohlicher Schräglage, schiefer als der schiefe Turm von Pisa, blieb es stehen und wurde so von mehreren „Popos“ abgestützt. Derweil wurden 17 von uns verhaftet, mit der grünen Minna zur Wache abtransportiert und dort erkennungsdienstlich behandelt. Als mutmaßlicher Rädelsführer wurde ich bis Mitternacht festgehalten und eingehend zur Sache vernommen.
Die Universität stellte Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen uns wegen Landfriedensbruch und Störung der öffentlichen Ordnung. Die Aktion hatte für mich weitreichende Folgen. Die Universität verhängte gegen mich ein Hausverbot, das formell bis 1983 bestand. Als wissenschaftlicher Assistent am Literaturwissenschaftlichen Seminar wurde ich fristlos entlassen und sogar aus dem Germanistenverband ausgeschlossen; fortan hatte ich Gelegenheit, mich als freiberuflicher Linksliterat durchzuschlagen. Ich habe diesen Karriereknick nie bereut.
Einige Monate später wurde uns Wissmann-Attentätern der Prozeß gemacht. Die Verhandlung fand vor dem Zweiten Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichtes statt, drei Richter leiteten das Tribunal, und wir hatten die prominentesten Linksanwälte an unserer Seite, Franz-Josef Degenhardt, den Liedermacher, und Kurt Groenewold. Zum Prozeßauftakt waren viele Sympathisanten gekommen, der Gerichtssaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Als das Hohe Gericht den Saal betrat, sangen die Freunde auf den Zuschauerbänken: „Heil Dir im Siegerkranz“, um den geschichtlichen Hintergrund kenntlich zu machen. Dann wurden wir Angeklagten aufgefordert, uns von den Plätzen zu erheben. Wir antworteten als gelehrige Schüler des Berliner Anarchorebellen Fritz Teufel: „Wenn es der Wahrheitsfindung dienlich ist“ und richteten uns der Reihe nach auf. Wir wurden zur Person vernommen und nutzten die Gelegenheit, um unser antibürgerliches Sündenregister vorzutragen.
Der leitende Oberstaatsanwalt klärte das Gericht darüber auf, daß mittlerweile neun weitere Strafanzeigen gegen mich vorlägen, und äußerte den Verdacht, daß ich mit dem Verfassen und Verbreiten von militanten Reimversen zu einem der „Haupteinpeitscher und Agitatoren der verfassungsfeindlichen Gewalttäter“ geworden sei. Jedes Mal, wenn er einen der mir zur Last gelegten Zweizeiler zum Besten gab, erntete er im Saal stürmischen Beifall. Die Verhandlung wurde vollends zur Justizkomödie, als es um den möglicherweise kriminellen Inhalt meiner Anti-Springer-Losungen ging. Der Richter zitierte aus einem Aufruf: „Springer ist ein Hampelmann: die Kapitalherren ziehen dran!“, „Lügen haben Dackelbeine, darum Axel an die Leine!“ und „Richtet mit und ohne Finger stets den Strahl auf Axel Cäsar Springer!“ Das Hohe Gericht bat um Erläuterungen, und ich gab bereitwillig zu Protokoll, daß ich mir diesen Vers speziell für die Ausgestaltung männlicher Bedürfnisanstalten ausgedacht habe.
Der richterliche Robenträger schien sich vor Ekel zu verkrampfen und begann mich zu beschimpfen: „Sie sind ja ein regelrechtes Ferkel, ein Schwein ...“ Auf der Stelle begannen meine Freunde auf den Zuschauerbänken schweinisch zu quieken und laut zu grunzen. Der vorsitzende Richter verlor vollends die Fassung, er drohte mit der Räumung des Saals und machte seine Drohung auch bald darauf wahr.
Andere vollbrachten das umstürzlerische Werk
Der Wissmann-Prozeß zog sich in die Länge, er wurde immer wieder unterbrochen und vertagt und begleitete so fast zwei Jahre lang die studentischen Protestaktionen in Hamburg. Beide Seiten spielten auf Zeit. Nachdem die Universitätsverwaltung das halbgefallene Denkmal ihrer Schande vermittels hölzerner Krücken wieder in die Senkrechte gebracht hatte, war es von den Studenten erneut gestürzt worden, und zwar endgültig und unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Im Triumphzug hatten die von der Polizei und der Justiz unbehelligten Nachfolgetäter später den umgestürzten Wissmann in die Mensa getragen und dort unter großer Anteilnahme der Studentenschaft feierlich aufgebahrt. Als Gegendarstellung zur Sechzigjahrfeier der Universität wurde eine Broschüre unter dem Titel „Das permanente Kolonialforschungsinstitut“ verfaßt, in der ausführlich die dunkle Rolle Wissmanns in Afrika und bei der Gründung der Alma Mater in Hamburg dargestellt wurde.
In dieser Situation gelang es unseren Anwälten, durchzusetzen, daß die Hauptverhandlung aufgrund des starken öffentlichen Interesses ins Audimax verlegt wurde. Dabei
kam ausführlich der Hamburger Afrikaforscher Helmut Bley zu Wort, der von beiden Seiten als Sachverständiger akzeptiert wurde. Der vorsitzende Richter wagte ihm nicht zu widersprechen, er schwang sich nur zum Schluß zu einer grundsätzlichen Frage auf: „Wollen Sie denn das ganze Kolonialzeitalter in Bausch und Bogen verdammen?“ Bley antwortete darauf, er stünde nicht vor dem Weltgericht, sondern als Experte vor einem weltlichen Gericht, und darum schlage er vor, kein Verdammungsurteil zu sprechen, weder über eine Epoche, noch über die Denkmalsstürzer. Nach seinem ausführlichen Vortrag vor dem vollbesetzten Auditorium maximum begann sich das Meinungsklima auch außerhalb der Universität zu ändern. Die Befürworter des Wissmann-Denkmals, unter ihnen Hamburgs Bürgermeister Weichmann, hielten sich zumindest öffentlich zurück.
Revolutionärer Striptease vor dem Hohen Gericht
Im Mittelpunkt der weiteren Verhandlungen stand vor allem der Vorwurf der Sachbeschädigung. Stundenlang stritten Richter, Rechts- und Staatsanwälte darüber, ob es sich um einen bloß symbolischen oder einen tätlichen Akt des Denkmalssturzes gehandelt habe. Danach kam unter anderen ein Kunsthistoriker zu Wort, ein Fachmann für wilhelminischen Prunk und Pomp. Er machte deutlich, daß das 1909 geschaffene Denkmal den Beitrag Deutschlands zur Befriedung und zur kulturellen Durchdringung Afrikas würdigen sollte und daß der deutsche Kaiser sich selber anerkennend über den Kunstwert des Denkmals geäußert habe. Auf die Frage unserer An-
wälte, ob die Darstellung der zu Füßen des Kolonialherren niedergekauerten Schwarzen nicht eine Diskriminierung fremder Völker bedeute, antwortete der Kunstkenner lapidar, diese Darstellung entspräche der damaligen Auffassung. Der Künstler hätte auszudrücken versucht, daß sich die Eingeborenen zu jener Zeit in einem vorzivilisatorischen Stadium paradiesischer Unschuld und Nacktheit befanden.
In diesem Augenblick sprangen wie auf ein Stichwort vier Genossinnen vor, streiften sich ihre Pullover vom Leib und warfen sich dem Richter in der gleichen Kauerstellung zu Füßen, in der auf dem Wissmann-Denkmal die nackten Schwarzen vorgeführt wurden. Dazu sangen sie herzzerreißend den alten Karnevalsschlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, dschinderassabum. Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir stürzen um so besser ...“ Mit wilder Gewalt stürmten Polizisten zu den barbusigen Demonstrantinnen, fesselten sie ohne Rücksicht auf ihre vorzivilisatorische Nacktheit und schleiften sie an ihren Beinen rückwärts zum Saal hinaus. Der Gerichtsdiener trottete hinterher und trug den Genossinnen ihre abgelegten Kleidungsstücke nach. Sie mußten ihren revolutionären Striptease teuer bezahlen und wurden wegen Beleidigung des Hohen Gerichts an Ort und Stelle zu einem Tag Haft verurteilt.
Am letzten Verhandlungstag hatte ich noch einmal einen großen Auftritt. Ich bekannte mich in großen Worten schuldig — der Erregung öffentlicher Ärgernisse durch die Aufdeckung jahrzehntelang vertuschter Skandale, des Verstoßes gegen die kapitalistische Unordnung, der Anstiftung zur Bewältigung unserer kolonialen Vergangenheit, des Aufruhrs gegen die Lüge. Ich drückte meine Hoffnung aus, das Klassengericht werde mich nicht für unschuldig halten, wenn diese abgelebte Gesellschaft endlich zusammenstürzt. Danach sangen wir Angeklagten im Verein mit den Zuschauern lauthals die Internationale. Die Richter gerieten ein letztes Mal in Rage, riefen nach der Polizei, ließen den Saal räumen und verzichteten auf die mündliche Verkündung ihres Urteils. Es wurde mir einen Tag später durch einen Gerichtsboten ins Haus gebracht. Wegen versuchter Sachbeschädigung, Anstiftung zur Sachbeschädigung, Erregung öffentlichen Ärgernisses, Landfriedensbruch und Beleidigung wurde ich zu insgesamt 30 Tagen Haft verurteilt.
Ein paar Tage später hob der neugewählte Bundespräsident Heinemann alle Urteile im Zusammenhang mit den Studentenprozessen auf, verkündete eine allgemeine Amnestie für politische Straftäter, und ich war meine Vorstrafe wieder los.
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