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»Gehhilfe um den Kirchturm«

■ Mit dem sozialistischen Einheitsauto Trabant geht's zu Ende/ »Kleene Stinkbomben waren se ja schon, aber so schlecht nun ooch wieder nich«/ Für viele nicht mehr standesgemäß

Die Trabis gehörten zur DDR wie der Hintern auf dem Nachttopf«, sagt der Friedrichshainer Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu (SPD) ausnahmsweise einmal ganz uncharmant. Doch heute geht es mit den eisgrauen oder schlüpferblauen Plastikschachteln auf vier Rädern zu Ende.

Den Tankwart an der alten MinolTankstelle an der Prenzlauer Allee, der hier seit 13 Jahren Sprit abfüllt, beschleicht ob dieser Entwicklung ein wehmütiges Gefühl. »Kleene Stinkbomben war'n se ja schon, aber so schlecht nun wieder ooch nich: wartungsarm, keen Öl nachkieken.« Er schätzt, daß von den Trabis in Ost- Berlin nur noch 20 bis 30 Prozent übriggeblieben sind. Deutlicher könnte der Werteverfall in der ehemaligen DDR wohl kaum vor aller Augen geführt werden: Der Trabant war 40 Jahre lang das Objekt der Begierde fast jedes DDR-Bürgers. Bei einer Lieferzeit von zehn Jahren mußten sie ewig darauf warten und dafür auch noch 10- bis 14.000 Mark bei einem Durchschnittsgehalt von 1.000 Mark hinblättern. Ohne Anmeldung lief überhaupt nichts, was dazu führte, daß jeder volljährige DDR- Bürger bis hin zur Großmutter im Rollstuhl einen solchen Bezugsschein ausfüllte. Wer selbst kein Auto wollte, verschenkte oder verhökerte den Schein an meistbietende Abnehmer. Selbst wenn die Trabis, die sehr alt werden können, bei einem Besitzer in die Jahre gekommen waren, war es kein Problem, Neupreise zahlende Käufer zu finden.

Der Zweitakter aus Zwickau war für die Kleinfamilie das Symbol einer gewissen Freiheit und Unabhängigkeit und teilte mit ihr einen langen Lebensabschnitt. Wenn der Tag der Auslieferung endlich gekommen war, schmissen sich die Väter und Mütter in Schale, um das gute Stück in der Rummelsburger Landstraße in Empfang zu nehmen. Meist lenkte ein fahrkundiger Freund das teure Gefährt nach Hause, damit es nicht gleich bei der Jungfernfahrt Schaden nehme. Die wöchentliche Reinigung war ein Muß, aber auch das Innere des Trabis wurde liebevoll gepflegt. Schondeckchen auf den Sitzen, Läuferchen auf dem Fußboden bis hin zur selbstgestrickten Mütze für die Klopapierrolle auf der Ablage, nichts war der Mühe zuviel.

Nein, die Verachtung, die ihm jetzt viele seiner früheren Verehrer entgegenbringen, hat der Trabi nicht verdient. »Das war unsere Welt«, sagt der 48jährige KFZ-Meister Günter Würke mit leichtem Wehmut. Würke ist seit 1987 Inhaber einer Autowerkstatt in der Stahlheimer Straße in Prenzlauer Berg. Von 1961 bis zur Wende wurden hier ausschließlich Trabis repariert. Inzwischen ist die Werkstatt für alle Autotypen offen. In der Mehrzahl sind die Kunden auf Westwagen umgestiegen. Von der alten, rund 3.000 Köpfe zählenden Trabi-Stammkundschaft blieben knapp 1.000 dem sozialistischen Einheitsauto und damit der Werkstatt treu. Früher mußten sie hier zwölf Wochen und mehr auf einen Termin warten, heute nur ein paar Tage. »Das Problem waren damals die Arbeitskapazitäten und nicht die Ersatzteile, die gab es zumindest hier in der Hauptstadt genug«, erklärt Würke. Seine jetzige Trabi-Kundschaft, das seien Studenten, Künstler, Arbeiter, Vorruheständler bis hin »zum Herrn Doktor«, aber auch einige Westberliner. Würke schätzt sie alle so sehr, daß er ihnen statt 58 nur 48 Mark für eine Arbeitsstunde berechnet. Auch auf die Trabis läßt er nichts kommen, wenngleich er die Plastebomber wegen der zunehmenden Geschwindigkeit auf den Autobahnen für ein großes Sicherheitsrisiko hält. »Das ist eher eine Gehhilfe rund um den Kirchturm oder für die Wochenendfahrt zur Datsche.«

Daß so viele seiner früheren Kunden ihren Trabant nach der Wende so schnell abserviert haben, hat der KFZ-Meister nicht verstanden. »Ich kenne einige, die sich mit einem gebraucht gekauften, völlig durchgerosteten Westwagen fast ruiniert haben. Aber der Trabi mußte ja weg, weil er nicht mehr standesgemäß war«, erregt sich Würke. Seine Trabi-Kunden beschreibt er als eher »bescheidene« Menschen. Daß er die Einheitsautos weiter reparieren wird, ist für den KFZ-Meister keine Frage, zumindest solange, wie es erschwingliche Ersatzteile gebe. »Wenn ich so einem Kunden sagen würde, ich mache es nicht mehr, bricht für den doch eine Welt zusammen.«

Je mehr es mit dem Trabi zu Ende geht, desto höher steigt wieder sein Wert, nicht nur als Kunstobjekt oder Möbelstück. Nach der Wende war er für eine Flasche Whiskey zu haben, heute findet er in der Zweiten Hand für Preise zwischen 50 und 1.700 Mark nebst Zubehör reißenden Absatz. Käufer und Verkäufer sind meist Ostler. Häufiger Kaufgrund ist, daß sie sich neben dem Westwagen einen Trabant als Zweitwagen zulegen möchten. Und warum wollen ihn die Verkäufer loswerden? Einer 48jährigen Bankkauffrau, die sich jetzt einen gebrauchten Golf kaufen will — ihr Mann fährt schon einen Mazda —, ging die Fahrt mit dem Trabi zur Arbeit nach Spandau zunehmend auf die Nerven: »Man hat ja richtig Komplexe gekriegt, so abfällig haben mich die Westler in ihren Autos angeguckt. Dabei war mein Trabi tipptopp sauber, genauso poliert wie ich selbst.« Am schlimmsten getrieben hätten es die Frauen: »Die haben mich von hinten und vorn, oben und unten angegafft.« Plutonia Plarre

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