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Im Hinterhaus, vierter Stock bleibt nur das Sprungtuch

■ Im letzten Jahr rückte die Berliner Feuerwehr in rund 15.000 Fällen zum Löschen aus/ Fahrlässigkeit für den Großteil der Brände die Ursache/ Ein Drittel aller Feuer sind das Ergebnis von Brandstiftung/ Die Löschfahrzeuge kommen oft nur schlecht an die Brandherde heran

Mit knapper Not noch einmal davongekommen ist Frau H. aus Lichtenberg, als sich das Feuer vom 26. Mai vom sechsten bis in das 14. Stockwerk ihres Hochhauses am Anton- Saefkow-Platz gefressen hatte. Denn die Fluchtwege sind alle verqualmt oder mit Gerümpel verstellt. Mit Atemschutzhauben kann die Feuerwehr das verstörte Opfer in letzter Minute unverletzt in Sicherheit bringen.

Trotz Einsätzen der Feuerwehr und trotz der gesetzlichen Brandschutzmaßnahmen fordern Wohnungsbrände allein in den alten Bundesländern jährlich 400 Tote und 10.000 Verletzte. Rund 15.000mal rückten die Feuerwehrleute von der Berufs- und der Freiwilligen Feuerwehr im letzten Jahr zu Brandherden und Explosionseinsätzen in Gesamt- Berlin aus. Bei einem knappen Drittel davon, genau 4.276 Bränden, wurde das Feuer vorsätzlich gelegt.

Die angesengte Fußmatte

Das Brandkommissariat der Kripo unterscheidet zwischen »Inbrandsetzung« und »»Brandstiftung«. Zu der ersteren gehören, so ein Pressesprecher der Polizei, Kokeleien aller Art, etwa wenn Jugendliche dem Nachbarn aus Jux und Tollerei die Fußmatte ansengen oder ihm die Post im Briefkasten abfackeln. Den Tatbestand der Brandstiftung hingegen erfüllen ganz verschieden motivierte Delikte. Versicherungsbetrug gehört dazu, bei dem sich jemand bereichern will, aber auch sogenannte Beziehungstaten, bei denen zwischenmenschliche Abneigungen sich in Brandstiftungen entladen.

Auch »Sanierungserleichterungen«, wie der »heiße Abriß« eines Gebäudes sarkastisch genannt wird, gehören zum klassischen Brandstiftungs-Repertoire. Schlagzeilen machte zum Beispiel vor wenigen Monaten ein Brand im Ostberliner Kulturzentrum Tacheles. Daß dies Brandstiftung war, wurde zwar vermutet, ließ sich aber nicht bestätigen. Auch in Ostberliner Dunckerstraße 14/15 in Prenzlauer Berg, ein anderes besetztes Haus, wurde mehrmals Feuer gelegt.

Oft fällt an der Brandstelle die Ermittlung von Art und Urheber des Brandes schwer. So kann etwa, weiß Polizeisprecher Reul, ein angezündeter Kinderwagen im Treppenflur, je nachdem ob er im Westteil oder im Ostteil Berlins brennt, ganz unterschiedliche Konsequenzen haben. »In einem gut brandgeschützten West-Treppenhaus erlischt das Feuer in der Regel von selbst. In einem Treppenhaus mit viel Holz in einem Ostberliner Altbau kann sich der Brand dagegen leicht ausbreiten — im schlimmsten Fall kann eine ganze Häuserzeile den Flammen zum Opfer fallen«, sagt Reul.

Brandstifter sind meistens Einzeltäter. Mitunter lassen sie am Tatort individuelle Indizien zurück, anhand derer sie überführt werden können. Die Aufklärungsquote bei den 1.563 Berliner Brandstiftungen im letzten Jahr — die übrigen Brände waren Inbrandsetzungen — lag bei nur 34 Prozent.

Den Löwenanteil der Haus- und Wohnungsbrände machen aber die Feuer aus Fahrlässigkeit aus. Ursache sind meist glimmende Tabakreste oder Brennstoffpartikel wie Kohle oder Holz, die auf den Teppich oder an die Gardinen geraten. Im Küchenbereich rangieren »vergessene« Koch- und Heizplatten an der Spitze der Verursacherskala. Die Berliner Feuerwehr ist, so der Brandrat Thomas Werner, mit 393 Kraftfahrzeugen, 54.000 Hydranten und 1.200 Feuermeldern gut ausgerüstet. Probleme geben ihr aber besonders Brände in engen Hinterhöfen auf. Mit 22 Metern Länge reichen die Feuerwehrleitern zwar bis an die Berliner Traufhöhe heran, aber nur, wenn sie den Brandherd auch erreichen. Die Hofdurchfahrten sind für die Wagen zu schmal, und Handleitern, die aus Gewichtsgründen nur 12,5 Meter lang sind, reichen nicht bis oben hin.

»Wer im Hinterhaus in der vierten Etage wohnt und sich nicht mehr über das Treppenhaus retten kann, dem bleibt nur das Sprungtuch«, beschreibt Brandrat Werner die Rettungschancen in diesem Fall. Da Altbauten »Bestandsschutz« genießen, ist der Einbau eines zusätzlichen Fluchtweges, zum Beispiel einer Außentreppe, nur bei Nutzungsänderung Vorschrift — etwa wenn das Wohnhaus in ein Hotel umgewandelt wird.

Blausäuregas in den Bettfedern

Um Brände zu vermeiden oder wenigstens unter Kontrolle zu halten, haben Feuerwehr und Feuerversicherer einen — mehr oder weniger überzeugenden — Maßnahmenkatalog zusammengestellt. Ein Auszug daraus: Betroffene sollen auf keinen Fall den Helden spielen und bei Bränden außerhalb der Wohnung unbedingt die Wohnungstür hinter sich schließen und sich bemerkbar machen. Damit die letzte Zigarette im Bett nicht zur allerletzten wird, sollte man nicht beim Rauchen einschlafen — beim Schwelbrand von Bettfedern entsteht hochgiftiges Blausäuregas. Einige Hausratsversicherer zahlen nicht, wenn sich die vergessene Zigarette als Brandursache herausstellt. Aus seinem Keller sollte man keinen Lagerraum für Chemikalien machen, genauso wie auf dem Speicher keine Möbel gelagert werden dürfen. Der Feuerwehr sind sogar Blumentöpfe im Hausflur ein Dorn im Auge: Die bedeuten Stolpergefahr für Retter und Opfer!

Und hinterher: die Schuldfrage

Obwohl die Feuerwehr im Durchschnitt in weniger als sieben Minuten an Ort und Stelle ist, ist die Wohnung nach dem Brand oft unbewohnbar. Zusätzliche Löschwasserschäden tun ein übriges, um das Mobiliar zu schädigen. Mit Recht fragt sich dann der Mieter, wer für den Schaden aufkommt. Hat der Mieter den Brand fahrlässig verursacht, trägt er beziehungsweise seine Versicherung die Kosten für die Instandsetzung. Bei grober Fahrlässigkeit kann ihm sogar die Kündigung der Wohnung drohen. Ist hingegen der Vermieter für den Brand verantwortlich, hat er auch für die Folgen zu haften. Läßt sich der Brandverursacher nicht ausmachen, hat der Mieter Anspruch darauf, daß der Vermieter die Wohnung instandsetzt.

Keinen Anspruch jedoch hat er auf Ersetzung des Mobiliars oder Erstattung der Kosten eines Hotelaufenthalts, falls dieser nötig ist. Im schlimmsten, glücklicherweise nicht sehr häufigen Fall wird die Wohnung durch den Brand vollkommen zerstört. Was im Juristenjargon dann »Untergang der Mietsache« heißt, bedeutet für den Mieter: Kein Anspruch auf Ersatzwohnraum. Alexander Musik

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