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Iranerinnen müssen sich bedeckt halten

■ Im Iran werden Frauen massenhaft wegen „Moralverstößen“ verhaftet und mißhandelt/ Hoher iranischer Sicherheitsbeamter vermeldet die Festnahme von 113.000 Personen in einem Jahr

Berlin(taz) — Im Hochsommer leben die iranischen Frauen noch gefährlicher als sonst. In den letzten Wochen wurden vor allem in den Großstädten massenhaft Frauen festgenommen, die nach Auffassung der militanten Sittenwächter des islamischen Staates nicht ordnungsgemäß gekleidet waren.

Frauen müssen in der Öffentlichkeit entweder einen Tschador tragen, einen Schleier, der ihren Körper ganz verhüllt, oder einen Schal und einen langen Mantel. Gegen Frauen, deren Haare nicht ganz bedeckt sind, oder die zu kurze Hosen und Röcke unter dem Mantel tragen, kann die Prügelstrafe verhängt werden. Nach einem Bericht des „Weltverbandes der Solidarität iranischer Frauen“ wurden in der Teheraner Satellitenstadt Tehran Pars von einem „Revolutionsgericht“ auch Geldstrafen bis zu einer Million Rial für Nichtbeachtung der „islamischen Kleidervorschriften“ verhängt. Die Benutzung von Make-up und Nagellack ist strikt verboten, Lippenstift- oder Eyelinerspuren können einer Frau bereits zum Verhängnis werden. Außerdem sind Kontrollen üblich, wenn Frauen und Männer gemeinsam unterwegs sind. Dann wird die „Legitimität ihres Verhältnisses“ überprüft. Wenn sie nicht miteinander verheiratet oder verwandt sind, kann das sehr unangenehme Folgen haben. Den Frauen nützt dann auch die ordnungsgemäße Bekleidung nichts.

Insbesondere im Hochsommer, wenn die Kleiderordnung schon wegen der unerträglichen Hitze zur Tortur wird, gehen die Mitglieder der Bassidsch-Truppen und der Revolutionsgarden, Pasderan genannt, gerne auf Jagd. Manchmal tun sie dies auch in Begleitung von „Sittenwächterinnen“, sogenannter Seinab- Schwestern.

Am ersten August wurden beispielsweise im Teheraner Bezirk Gischa und auf der Schahrdari-Straße viele Frauen festgenommen und mit Bussen an einen unbekannten Ort gebracht, berichten die oppositionellen Volksmudschahedin. Es sei mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen den Pasderan und aufgebrachten Bürgern gekommen, die die Frauen verteidigen wollten. Einige Frauen seien mit Rasierklingen und Messern im Gesicht verletzt worden. Nach einer Meldung von AFP wurden vor allem in Nord-Teheran viele Frauen verhaftet und in Polizeiautos zur Wache gefahren. Dort mußten sie schriftlich versichern, künftig die „islamischen Regeln“ zu befolgen.

Der „Weltverband der Solidarität iranischer Frauen“ zitiert eine Augenzeugin, die von einer Kontrolle Ende Juli berichtete. Pasderan und Seinab-Schwestern überprüften in einer Straße, ob die Passantinnen ordnungsgemäß gekleidet seien. Eine der Passantinnen gefiel ihnen nicht, und die Männer zerrten sie in einen bereitstehenden Minibus. Ihr Mann wollte dies verhindern und legte sich mit den Pasderan an. Als der Minibus abfahren sollte, umklammerte er eins der heruntergekurbelten Autofenster. Der Wagen fuhr dennoch ab und schleifte den Mann mit. Von innen schlugen die Seinab-Schwestern so lange auf die Finger des Mannes ein, bis er loslassen mußte. Er fiel, schlug mit dem Kopf auf die Straße und starb.

Hossein Rahmani, ein Vertreter der iranischen Ordnungskräfte, erklärte diese Woche nach einer Meldung von AFP, daß innerhalb eines Jahres rund 113.000 Menschen festgenommen worden seien, weil sie gegen die „islamische Kleiderordnung“ verstoßen oder anderweitig zum „moralischen Verfall“ der Gesellschaft beigetragen hätten. Rahmani forderte die Revolutionswächter und die Polizei auf, entschlossen gegen Verletzungen der „islamischen Sitten“ vorzugehen. Er unterstützte damit einen Aufruf des geistlichen Führers des Iran, Ayatollah Ali Chameni, der erst kürzlich eine neue Runde im Kampf gegen sogenannte „soziale Korruption“ eröffnet hat. N.C.

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