piwik no script img

Menschen, abgemagert bis auf die Knochen

■ Bericht eines britischen Journalisten über das serbische Lager Omarska in Bosnien

Der britische Privatsender „Independent Television News“ und die Tageszeitung „Guardian“ wurden vom Anführer der Serben in Bosnien, Radovan Karadzic, persönlich nach Omarska eingeladen. Es war das erste Mal, daß westliche Medien direkten Zugang zu einem der als „Konzentrationslager“ berüchtigten serbischen Gefangenenlager erhielten. Der „Guardian“-Journalist Ed Vulliamy verfaßte nach seinem Besuch einen Exklusivbericht, aus dem die taz einen Auszug dokumentiert.

Der junge Mann, abgemagert bis auf die Knochen und mit eingefallenen Augen, attackiert seinen wäßrigen Bohneneintopf wie ein verhungerter Hund. Seine spindeldürren Hände zittern. Es ist Mittagszeit im Lager Omarska, ein „Polizei-Untersuchungszentrum“ der serbisch-bosnischen Republik für muslimische Gefangene, nahe Prijedor im bosnischen Nordosten.

Die Insassen sind fürchterlich abgemagert, die Knochen stehen heraus; manche sind totenbleich, mit Pergamenthaut, die sich um ihre Ärmchen spannt; ihre Wangen sind dunkel, tief eingefallen, ihre Augen starren mit leerem Häftlingsblick, der nicht weiß, was ihm als nächstes zustößt.

Die Internierten kommen aus einem riesigen rostfarbenen Schuppen, in Gruppen zu je dreißig Mann, in die Hitze der Sonne heraus. Ein Wachmann — ziviler Polizist — reiht sie auf, und dann, als Teil eines lächerlichen Drills, „rennen“ sie im Laufschritt hintereinander durch einen Hof in die Kantine, aufmerksam beäugt von einem Polizisten mit Stiernacken und Maschinengewehr in einem gläsernen Wachpostengebäude. Laute Befehle gibt es nicht. Jeder kennt den Drill.

In der sauberen Küche reihen sie sich wieder auf und warten auf ihre Ration: Ein Topf Bohnen, angereichert mit Brotkrumen, und eine Scheibe Brot. An Metalltischen wird alles schweigend hinuntergeschlungen. Dann, schnell und folgsam, reihen sie sich an der Tür wieder auf und „rennen“ hintereinander wieder durch den Hof, zur dunklen Tür des Schuppens. Die Mahlzeit dauert fünf Minuten. Es scheint die einzige des Tages zu sein.

Früher war Omarska ein Eisenerzbergwerk. Nun ist es das berüchtigste der 57 auf einer bosnischen Regierungsliste genannten „Konzentrationslager“.

Die meisten Insassen sind offensichtlich zu verängstigt, um zu reden. Wir lehnen es ab, von den Behörden ausgesuchte Leute zu interviewen, und wollen unsere Gesprächspartner selbst auswählen. Aber da drückt man uns schon die Treppe hoch — für ein „Briefing“.

Omarska, hören wir, ist ein „Untersuchungszentrum“ für Menschen, die verdächtigt werden, zu den irregulären muslimischen Verbänden zu gehören. Diejenigen, denen die „Vorbereitung der Rebellion“ nachgewiesen wird, werden in Kategorie A eingestuft, sagt Nada Balban, die Sprecherin des Polizeichefs. Es sind 126. Sie warten auf ihren Prozeß.

Die einfachen Kämpfer stuft man in „Kategorie B“ ein und schickt sie in ein Kriegsgefangenenlager bei Manjaca, zu dem das Rote Kreuz Zutritt hat. 1.290 von ihnen mußten bereits vor ein Militärgericht.

Andere — mit 1.400 die größte Gruppe — kommen ins Lager Trnopolje. Omarska und Trnopolje werden nicht von der Armee verwaltet, sondern von den zivilien serbischen Behörden.

Polizeisprecherin Balban gesteht: „Keiner ist stolz auf all dies. Es gibt Scham. Wenn es in Sarajevo für unser Volk einen ähnlichen Ort gibt, laßt uns das ändern. Geiseln? Natürlich, wir haben Geiseln für einen Austausch. Seit dem ersten Kriegstag bieten wir Leute an. Aber die andere Seite will sie nicht.“

Nach dem Briefing wollen wir den rostfarbenen Schuppen besichtigen, die Schlafplätze, die Arbeitsmöglichkeiten. Aber in den nahegelegenen Wäldern wird geschossen. Ein muslimischer Angriff oder ein serbisches Ablenkungsmanöver? Die Polizei sagt, unsere Sicherheit sei bedroht.

Balban erklärt: „Wir haben Anweisungen, müssen Sie wissen. Sie haben Ihre Gründe, wir haben andere.“ Das Rote Kreuz und die UNO seien nicht zugelassen worden, „weil dies kein Lager ist, sondern ein Zentrum“. Balban behauptet: „Es gibt keine Anfrage von jemand anderem, der herkommen will.“ Auf Nachfrage gibt sie an: „Wir würden sie hereinlassen. Warum nicht?“

Zurück in die Ortschaft Prijedor. Hier stehen Frauen vor der Polizeiwache Schlange. Sie warten auf Transitpapiere, um das Gebiet verlassen zu können. Ihre Männer, sagen manche, sind seit vier Monaten in Omarska.

Manche der Insassen, die wir sehen konnten, hatten offensichtlich seit Wochen oder Monaten nicht mehr ordentlich gegessen. Und obwohl es keine sichtbaren Zeugnisse ernsthafter Gewaltanwendung gab — in diesem Aluminiumschuppen steckt etwas, dessen Verheimlichung es offenbar wert ist, Karadzics Zusagen zu brechen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen