■ Fehlstart
: Hassiba Boulmerka

Die Unsitte der Sieger, die Nationalflagge ihres Landes mit auf die Ehrenrunde zu nehmen, hat auch in Barcelona Hochkonjunktur. Seltener ist da schon, daß die Medaille einem Staatsoberhaupt gewidmet wird. „Ich widme meine Medaille dem verstorbenen Staatspräsidenten Boudiaf“, sagte die Algerierin Hassiba Boulmerka, Goldmedaillengewinnerin über 1.500 Meter. Der 72jährige Mohamed Boudiaf, einstiger Widerstandskämpfer, zuletzt Galionsfigur der Militärjunta bei der Unterdrückung des islamischen Fundamentalismus, war vor einigen Wochen einem Mordanschlag zum Opfer gefallen.

Hassiba Boulmerka ist keine sonderlich politische Person, geriet aber dennoch nach ihrem sensationellen Weltmeisterschafts- Triumph 1991 in Konflikt mit den gestrengen Moslems — schlicht, weil sie eine Frau ist. Eine Frau, die Sport treibt. Statt Kopf und Körper korangemäß züchtig bedeckt zu halten, trainiert Hassiba Boulmerka, deren Vater als Lastwagenfahrer in Frankreich westliche Weltanschauungen angenommen hat, öffentlich in kurzen Hosen. Für die islamische Heilsfront ist dieses Benehmen höchst skandalös. „Ich bin eine Gefahr für die Fundamentalisten“, sagte die 23jährige vor der Olympiade gegenüber dem Time Magazine. „Für die Jugend bin ich ein Symbol dafür, daß Frauen sich nicht hinter ihrem Tschador verstecken sollen.“

Hassiba Boulmerka

In Barcelona wirkt das Idol höchst verunsichert. „Ich bin keine Politikerin“, versucht sie sich um die politische Dimension ihres Sieges zu drücken. „Diese Medaille wird viele Sportler und Sportlerinnen in Algerien ermutigen, sich voll und ganz einzubringen, sich aufzuopfern.“ Wofür? Hassiba Boulmerka wirkt, als balanciere sie mühsam auf einem steilen Grat. „Ich weiß nicht, was Sie sich unter Algerien vorstellen. Unsere Probleme sind normal. Alle Frauen können Sport treiben, wenn sie wollen.“ Fakt ist: Boulmerka trainiert nicht mehr in den Wäldern von Constantine, aus Angst vor Angriffen seitens der Fundamentalisten. Ihre Olympia-Vorbereitung verlegte sie nach Deutschland.

Doch in Barcelona will Boulmerka davon nichts wissen. „Ich verstehe nicht, worauf Sie hinaus wollen.“ Und doch: Nie hat Barcelona eine Siegerin derart enthemmt weinen sehen wie Boulmerka. Ihre Sätze klingen merkwürdig chiffriert: „Ich wollte dem mutigen Algerien Tribut zollen.“ Dem mutigen Algerien? Was sie unter mutig versteht, bleibt im Dunkeln. -miß-