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Der Schimmelreiter von Husum

■ taz-Serie über Freud und Leid der schienengebundenen Pendler (10): Wenn die Bahn Verspätung hat, werden seltsame Träume wach

Der Schimmelreiter von Husum

taz-Serie über Freud und Leid der schienengebundenen Pendler (10): Wenn die Bahn Verspätung hat, werden seltsame Träume wach

Wir schienengebundenen Pendler sind manipulierbar. Deshalb war der fahrgestreßte Schreiber dieser Serie allzu schnell bereit, ein Versprechen abzugeben, als ein Eisenbahnbediensteter und Pendler-Kollege bat: „Schreib doch auch mal was Positives.“ Warum nicht? Auch kleine Autoren müssen sich gelegentlich gigantischen Aufgaben stellen — also was Positives über die Deutsche Bundesbahn, eine wirkliche Herausforderung.

Am vorigen Dienstag sollte es losgehen. Der pendelnde Schreiberling sprang morgens um halb sechs ausgeschlafen aus dem Bett, voll positiv drauf. Nach dem Duschen, dem Verzehr von zwei Marmeladeschnitten und einigen Bechern Kaffee sowie dem Inhalieren echt weniger Zigaretten marschierte er — Heavy Metall im Ohr — Richtung Bahnhof, immer noch positiv gelaunt. Langsam wuchs eine positive Bundesbahngeschichte in seinem Schädel, die auf dem

1Bahnsteig fast druckreife Formen annahm.

Und dann kam die Durchsage: „Wegen eines Lokschadens verspätet sich der Eilzug von Flensburg nach Neumünster um etwa dreißig Minuten.“ Päng! Das bedeutet eine volle Stunde Verspätung bis Hamburg, denn die Anschlußzüge warten nicht. Das heißt aber auch eine tote halbe Stunde auf dem Bahnhof des öden Kaffs Neumünster.

Aber jede Krise hat auch was Positives. Während des dreißigminütigen Zwangsaufenthalts auf dem Bahnhof der kleinsten kreisfreien Stadt des Landes Schleswig-Holstein wuchsen eine Erkenntnis und ein Entschluß. Die Erkenntnis: Im wirklichen Leben gibt es nichts Positives über den bundesdeutschen Zugverkehr zu berichten. Der Entschluß: Wenn ich groß bin, werde ich Dichter und schreibe eine Novelle. Titel: „Wie der Schimmelreiter einmal ohne Verspätung und sonstiges Ärgernis von Husum nach München reiste — mit einem Intercity der Deutschen Bundesbahn.“

Jürgen Oetting

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