Die „Einheit des Niltals“ bröckelt

Sudans Beziehungen zu einigen arabischen Staaten verschlechtern sich/ Kairo und Tunis werfen Khartum Unterstützung der Islamisten vor/ Sudan baut Verhältnis zur Türkei und dem Iran aus  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Den Tiefststand erreichten dieser Tage die Beziehungen der sudanesischen Regierung zu einigen ihrer arabischen „Bruder“-Staaten. Die Titelseiten der ägyptischen Zeitungen befassen sich zur Zeit täglich mit diesem Thema. Gestern traf der erste Sekretär des sudanesischen Außenministeriums Mohamad Osman Jasf in Kairo ein, um mit dem politischen Berater des ägyptischen Präsidenten Mubarak, Usama Baz, über die jüngsten Konflikte zu sprechen.

Die letzte Runde der Streitigkeiten begann vor zehn Tagen — mit der Ausstellung eines sudanesischen Diplomatenpasses an den namhaften tunesischen Islamistenführer Rashid Al-Ghanuschi. Der Regierung in Tunis war die sudanesische Unterstützung der verbotenen islamistischen Oppositionsbewegung „An-Nahda“ schon lange ein Dorn im Auge. Die Ausstellung des Diplomatenpasses war der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Tunesien kündigte die Schließung seiner Botschaft in Khartum an.

Auch die Regierung in Kairo wirft Khartum vor, militanten islamistischen Gruppen in Ägypten Hilfestellung zu leisten. Seit Wochen herrscht im südlichen Oberägypten eine Art Kleinkrieg zwischen islamistischen Gihad-Kämpfern und der Regierung, die kürzlich 5.000 zusätzliche Soldaten gen Süden schickte. Ägyptische Sicherheitskreise beklagen schon länger die enge Koordination zwischen den Islamisten beider Staaten. Dies gelte insbesondere für die „Islamistische Front“, die in den 50er Jahren von Hassam Turabi im Sudan gegründet wurde, und die militante ägyptische Gihad-Gruppe.

„Transit Sudan“

Im ägyptischen Sicherheitsapparat geht man davon aus, daß sich die Trainingslager der Gihad-Kämpfer im Sudan befinden und daß es zwischen beiden Staaten einen regen illegalen Grenzverkehr gibt. Zahlreiche ägyptische Freiwillige, die in Afghanistan gekämpft haben und darum „Afghanen“ genannt werden, hätten im Sudan Unterschlupf gefunden. Sie werden angeblich mit Waffen nach Ägypten eingeschmuggelt, während sich einige der militanten Aktivisten Oberägyptens durch Flucht in den Sudan dem Zugriff der ägyptischen Behörden entziehen. In Ägypten spricht man vom „Transit Sudan“. Vor allem die „Afghanen“ stehen auf den Fahndungslisten ganz oben, da sie im Verdacht stehen, dem Gihad oder anderen militanten islamistischen Gruppen anzugehören.

Doch die ägyptisch-sudanesischen Beziehungen sind noch anderen Belastungsproben ausgesetzt. Seit langem schwelt ein Grenzkonflikt zwischen beiden Ländern. Gegenstand des Streites ist das „Halaib- Dreieck“ im äußersten Südosten Ägyptens am Roten Meer, das unter britischer Kolonialherrschaft zum Sudan gehörte, aber zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung des Sudan 1956 Ägypten zugesprochen wurde. Letzte Woche warf der sudanesische Botschafter Ezzeddin Hamed in Kairo der ägyptischen Regierung vor, ein Treffen des gemeinsamen Grenzkonflikt-Komitees zu verzögern. Kairo wolle eine erneute Halaib-Krise heraufbeschwören, um den Sudan für seine Position im Golfkrieg zu bestrafen. Besonders ungehalten reagierte der Diplomat außerdem auf den Besuch einer Delegation unter der Leitung des südsudanesischen Guerillaführers John Garang in Kairo. Dessen „Sudanesische Volksbefreiungsarmee“ (SPLA) kämpft schon seit Jahren im Süden des Landes gegen die Truppen der Zentralregierung in Khartum. Dieser Besuch sei „durch nichts zu rechtfertigen“, erklärte Hamed. Er warf Kairo vor, „ein feindliches Klima“ zu schaffen, „um die Regierung in Khartum zu stürzen“. Daß Kairo die Volksfront offiziell eingeladen hat, gilt allgemein als Retourkutsche für Sudans Unterstützung der ägyptisch- islamistischen Opposition. Kairo prüft derzeit, ob die Äußerungen Hameds die Meinung der Regierung in Khartum repräsentieren. Es wird allgemein damit gerechnet, daß Khartums Botschafter in Ägypten zur „Persona non grata“ erklärt wird.

Khartums neue Freunde

Doch während die vielbeschworene „Einheit des Niltals“ unaufhaltsam bröckelt, findet der Sudan neue Freunde. Mitte letzter Woche schloß man mit der Türkei einen Vertrag über die Bekämpfung von Terrorismus und Drogen. In Zukunft sollen sudanesische Polizisten in türkischen Polizeiakademien ausgebildet werden. Zur iranischen Regierung unterhält Khartum schon seit längerem vorzügliche Beziehungen, vor allem seit März 1991, als die Regierung in Khartum die Scharia, das Islamische Recht, zum neuen Strafrecht erklärte. Letzte Woche versprach Teheran, dem Sudan in Zukunft bei der Ausbeutung seiner Ölquellen unter die Arme zu greifen. Doch nicht nur auf diesem Gebiet kooperieren beide Regierungen. Bis zu 2000 iranische Revolutionsgardisten halten sich nach Schätzungen derzeit als Militärausbilder im Sudan auf. Es wird vermutet, daß die Regierung in Teheran im Sudan eine neue Machtbasis aufbauen will, da der iranische Einfluß im Südlibanon schwindet.