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Friedliche Insel im nationalistischen Meer

■ Im Süd-Ost-Zentrum treffen sich Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien/ Mit Diskussions- und Kulturveranstaltungen über Albanien, Rumänien und den Krieg in Jugoslawien wird hier versucht, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln

Berlin. Wer genauer hinguckt, sieht es selbst im Straßenbild. Die frühere jugoslawische Kolonie hat sich auseinanderdividiert. Restaurants, von denen manche Jugoslavija hießen, sind umgetauft und geben die Nationalität der Besitzer preis: Split und Dalmatija weisen auf Kroaten hin, Belgrad und Novi Sad auf Serben. Der ehemals rührige Fußballclub »FC Jugoslavija« hat sich schon im vorigen Jahr aufgelöst, Serben, Slowenen und Kroaten wollten nicht mehr zusammen spielen.

Aus dem inzwischen eingegangenen »Jugoslawischen Zentrum« bildeten sich getreulich entlang der Spaltung im Heimatland neue Kulturvereine. Kroaten und Serben haben in der Stadt nur noch wenig miteinander zu tun, die meisten von ihnen gehen sich geflissentlich aus dem Weg.

Doch in Kreuzberg, in der Großbeerenstraße 88, ist Ungewöhnliches anzutreffen. Wer die Treppen zur zweiten Etage zu den Räumen des Süd-Ost-Europa-Kultur e.V. hochsteigt, tritt ein in eine verloren geglaubte Welt. Denn hier treffen sich Menschen aus allen Landesteilen Ex- Jugoslawiens. »Das ist ein Stückchen Zukunft, das wir hier leben, wir wollen auch ein Zeichen für die Nachkriegszeit setzen«, sagt Bosiljka Schedlich, die Leiterin der Institution, die im letzten Jahr gegründet wurde. »Wir wollen natürlich auch dahingehend wirken, daß die Kulturen des Balkans Eingang in das städtische Leben finden. Wir wollen ja nicht nur unter uns bleiben. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Brücken zwischen der Kultur Berlins und den Kulturen des Balkans zu schlagen.«

Zur Zeit geht es jedoch vor allem um die Probleme der Gegenwart. Im Versammlungsraum haben sich einige Flüchtlinge aus Bosnien eingefunden, einige der über 15.000 Menschen aus Ex-Jugoslawien, die seit dem Ausbruch der Kämpfe in Kroatien 1991 nach Berlin geflüchtet sind.

Bei Tee und Gebäck erzählen sie ihre Geschichte. Da ist Djiana, die Ärztin aus Sarajevo, die mit ihrer Tochter noch vor dem Kriegsbeginn in Bosnien fliehen konnte. »Ein Bekannter, ein Diplomat, hatte mich gewarnt und gesagt, es komme bald zum Krieg. Ich habe meine Sachen gepackt und bin weg.« Verschüchtert und noch fast im Schock beginnt eine junge Frau, eine Muslimanin, die aus einem Dorf nördlich Sarajevos stammt, die Geschichte ihrer Flucht zu erzählen, wie sie sich durchschlug nach Kroatien und Österreich und wie sie einen deutschen Grenzer fand, der sie trotz des Einreiseverbots für Flüchtlinge aus Bosnien in Bayern über die Grenze ließ.

Alle hören ihr aufmerksam zu, auch ein Kunstmaler, der Serbe ist und der aus der gleichen Gegend wie die junge Frau stammt. Er hatte sich schon vor neun Monaten zu seinen Verwandten nach Berlin abgesetzt. Mit einem Achselzucken verabschiedet er sich. »Wir alle sind Opfer, die Extremisten haben den Krieg begonnen, und wir haben ihn nicht aufhalten können.«

»Es kamen in letzter Zeit übrigens vor allem Menschen aus den Mittelschichten, darunter Ärzte, Rechtsanwälte et cetera, als Flüchtlinge nach Berlin. Auch für die haben wir einige Sprachkurse eingerichtet«, erklärt Bosiljka Schedlich. Der hintere Trakt des Zentrums ist für Kindergruppen reserviert. Eine Theatergruppe hat die Proben aufgenommen. »Wir haben bisher schon einige Ausstellungen organisiert. Eigentlich sind wir ja ein Kulturverein, der sich nicht nur um die soziale Problematik kümmern kann.«

Herzstück der Aktivitäten des Süd-Ost-Zentrums bleiben nach wie vor die Veranstaltungen, auf denen Serben und Kroaten, Muslimanen und Slowenen, Albaner, Mazedonier, Roma und Deutsche über die Themen, die der Krieg aufwirft, durchaus kontrovers und ohne die eigene Identität zu leugnen, diskutieren. Allerdings fehlen die bei anderen Veranstaltungen mit Vertretern der verschiedenen Nationen Ex-Jugoslawiens unüberhörbaren nationalistischen Töne.

Hier im Zentrum hat sich eine Diskussionskultur herausgebildet, die das gemeinsame Anliegen, Brücken zu bauen, deutlich macht. Bei vielen der eingeladenen Referenten aus Ex- Jugoslawien handelt es sich demgemäß um Vertreter der demokratischen Oppositionen. Auch aus anderen Ländern der Region wurden Referenten eingeladen: Im Juni traf sich hier die Creme der albanischen Schriftsteller. Und eine Woche später wurde mit Rumänienexperten über den Krieg in Moldova diskutiert. »Wir wollen die kulturelle und politische Situation aller Länder des Balkan einbringen, zur Zeit jedoch dominiert aus den bekannten Gründen das ehemalige Jugoslawien«, bedauert Bosiljka Schedlich.

Angesichts der Agitation der Nationalisten in den unterschiedlichen Kulturvereinen ist die »Atmosphäre hier die reinste Erholung«, sagt eine der Besucherinnen. Vielleicht deswegen ist das Süd-Ost-Zentrum bei den nationalistischen Gruppen zu einem Dorn im Auge geworden. So bekommen die regelmäßigen Besucher in »ihren« jeweiligen Kolonien nicht nur kritische Bemerkungen zu hören. Einige wurden von Extremisten schon als »Verräter« tituliert. »Das sind bisher Randerscheinungen. Das Süd-Ost-Zentrum will mit allen Kulturvereinen zusammenarbeiten«, kontert Bosiljka Schedlich. Erich Rathfelder

Die nächste Veranstaltung im Süd- Ost-Zentrum dreht sich um die Flüchtlingsproblematik und die ethnischen Säuberungen in Bosnien- Herzegowina. Referent ist der Präsident des bosnischen Roten Kreuzes, Dr. Muhidin Alicehajic, Donnerstag, 13. August, 19 Uhr.

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