piwik no script img

WIR LASSEN LESENDie Welt im Fußball

■ Beiträge zur europäischen Fußballkultur

Im Fußball findet sich eine ganze Menge Welt.“ Diesen Satz von Ror Wolf haben die Herausgeber von „Die Kanten des runden Leders“ ihrem Buch vorangestellt, und in der Folge trachten 24 Autoren danach, diese Welt im Fußball aufzuspüren. Herausgekommen ist eine bunte Sammlung von Historien, Analysen und soziologischen Betrachtungen, die gut hundert Jahre fußballerischen Treibens in ganz Europa umfassen, „Beiträge zur europäischen Fußballkultur“ eben, unterstützt vom Bundesministerium für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz in Wien. Und das ist lobenswert, denn besonders der Konsumentenschutz liegt im Fußball gelegentlich schwer im argen.

Zum Pflichtprogramm einer derartigen Publikation gehören Porträts jener vielbeschworenen Klubs, die seit langem dafür bekannt sind, daß es bei ihnen um weit mehr geht als Torschüsse, Paraden und Punktgewinne: FC Barcelona, Napoli, Schalke 04, Olympique Marseille, Everton und Liverpool, Celtic und Rangers. In einem Buch, das in Österreich zu Hause ist, darf natürlich die legendäre „Rapidviertelstunde“ nicht fehlen, ebensowenig der „Papierene“, Matthias Sindelar, mutmaßlich genialster Mittelstürmer aller Zeiten, der in den dreißiger Jahren das Scheiberl-Spiel des österreichischen Wunderteams prägte.

Etwas lästig ist der gelegentlich auftretende unsägliche Soziologenslang, vorzugsweise eingesetzt, um Tiefgründigkeit dort vorzutäuschen, wo es besonders seicht wird. Ziemlich dick kommt es gleich im ersten Beitrag, in dem sich Branko Elsner, Österreichs Coach von 1985-87 über Taktik verbreitet. Da ermöglicht es die motorische Aktivität des einen Spielers, daß sein Informations-Input genau dem Informations-Output des Kommunikationspartners entspricht und das Kommunikationsmittel im Zuge der interpersonellen Kooperation mittels afferent-effektorischer Prozesse zur erfolgreichen Knüpfung eines Kommunikationsnetzes eingesetzt werden kann. Mit anderen Worten: Er bekommt den Ball zugespielt. Kein Wunder, daß sich Österreich nicht für die EM-Endrunde 1988 qualifizieren konnte.

Hochinteressant sind die Beiträge über Wandlungsprozesse im osteuropäischen Fußball, über die Machenschaften des Ceausescu- Clans in Rumänien, die Professionalisierung in der Tschechoslowakei und vor allem der Bericht über Ungarns Niedergang, der mit dem Debakel im WM-Finale 1954 begann. Damals galt das glorreiche Team um Ferenc Puskas als das beste der Welt, emsig hofiert von der ungarischen Staatsführung, die den Fußball zum Machterhalt einsetzte. Die Spieler hatten ein eher lockeres Verhältnis zur politischen Elite, wie der Beitrag des in Ungarn lebenden Journalisten Michael Müller mit einer Anekdote belegt. Als der allmächtige Verteidigungsminister Mihaly Farkas, in einen weißen Anzug gewandet, das Trainingslager besuchte, sah Puskas nur kurz von seinem Kartenspiel auf und konstatierte: „Sieh da, der Eismann.“ Inzwischen erschüttert ein Manipulationsskandal nach dem anderen die ungarische Liga, international setzt es nur noch Hiebe, und nicht einmal die Kabarettisten mögen noch ein Wort über den ungarischen Fußball verlieren.

Ausführlich gewürdigt werden die Vorgänge im „Vereinigten“ Königreich. Während Herbert F. Moorhouse seine Betrachtung der Rivalität zwischen Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers leider zu einer kleinkarierten persönlichen Auseinandersetzung mit einem wissenschaftlichen Rivalen mißbraucht, sind besonders die Beiträge „Lick my boots“ über Rassismus und „Der noble Dienst am Empire“ über die Schulung britischer Elitezöglinge für den imperialistischen Einsatz interessant. Unverhohlen wurde Ende des letzten Jahrhunderts der Sport als eine Basis für die Beherrschung der Welt gepriesen.

„Seit den Tagen der Olympischen Spiele gibt es sicherlich nichts, das den erhabenen Griechen näherkommt als die Rudermannschaft von Eton im Training für Henley. Diese Muskeln und Sehnen müssen jenem Land die Oberherrschaft über die Welt garantieren, das solche Athleten hervorbringen kann“, schwärmte J.G. Cotton Minchin, und der berühmte Schlächter Baden-Powell teilte den Zöglingen seiner ehemaligen Schule brieflich mit: „Und nun, während ihr noch Knaben seid, ist es Zeit zu lernen, wie man seine Pflicht erfüllt... Beim Fußball tut ihr Eure Pflicht nicht etwa dadurch, indem ihr Euch vor den Zuschauern produziert, sondern indem ihr die Befehle des Mannschaftskapitäns befolgt und Eurer Mannschaft den nötigen Rückhalt gebt, um den Sieg davonzutragen.“

Dem ist eigentlich nur noch ein Ausspruch Stefan Effenbergs hinzuzufügen: „Das Wichtigste ist, daß Ordnung herrscht.“ Matti

Roman Horak/Wolfgang Reiter (Hg.): „Die Kanten des runden Leders — Beiträge zur europäischen Fußballkultur“. Promedia, Wien 1991; 280Seiten, 39,80DM. ISBN 3-900478-45-7.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen