: Medienkampagne gegen Sinti und Roma
Göttingen (taz) – Als „bodenlose Unverschämtheit, mit der auf billige Weise an niedrigste menschliche Instinkte appelliert wird“, hat der niedersächsische Flüchtlingsrat die in Niedersachsen laufende Medienkampagne gegen Roma und Sinti kritisiert. Durch ihre Berichterstattung verleumdeten viele Zeitungen eine seit Jahrhunderten diskriminierte Volksgruppe, sagte der Sprecher des Flüchtlingsrats, Matthias Lange, gegenüber der taz. Zwangsläufig würden die Politiker dann „die von einigen Blättern entfachte Stimmung aufgreifen, um ein schärferes Vorgehen gegen die Roma zu fordern“.
Hintergrund der ungewöhnlich scharfen Stellungnahme des Flüchtlingsrats, der die Arbeit von rund 80 kirchlichen, gewerkschaftlichen und unabhängigen Flüchtlingsinitiativen koordiniert, sind die seit Wochen insbesondere von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), der Bild-Zeitung und der Welt am Sonntag (WamS) veröffentlichten Berichte über „Roma-Umtriebe“ in den Fußgängerzonen der niedersächsischen Großstädte. Immer mehr Passanten und Geschäftsleute, glaubt man den „Blitzumfragen“ und „Zitaten“ der Blätter, fühlten sich durch das „aggressive Betteln“ von Roma-Frauen und -Kindern in den Fußgängerzonen gestört. Als das „Zentrum aufdringlicher Bettelei durch rumänische Zigeuner“ wird die Landeshauptstadt ausgemacht: „Wer vor den Schaufenstern der Geschäfte stehen bleibt, wird von Zigeunerfrauen in bunten Röcken angesprochen und am Ärmel gezupft. Kleine Kinder, viele von ihnen barfuß, hängen sich an die Arme von Passanten und betteln in leisem Singsang“ (WamS). Die HAZ spekulierte über Drogen und Medikamente, mit denen die Babies bettelnder Roma- Mütter ruhiggestellt würden, das Sonntagsblatt Extra Tip machte mit einer Titelstory („Wann explodiert das Pulverfaß?“) gegen Roma-Kinder Stimmung, die nachmittags auf einem öffentlichen Spielplatz gespielt hatten: „Die Mieter sind gereizt, einige sehen übernächtigt aus. Die Qualen durchwachter Sommernächte sind ihnen ins Gesicht geschrieben. Richtig geschlafen hat kaum einer in den letzten Nächten. Der Lärmpegel in der sonst ruhigen Wohngegend sei unerträglich geworden.“
Nun hat die rot-grüne Landesregierung angekündigt, mit der „aggressiven Bettelei“ Schluß zu machen. Justizministerin Heidi Alm- Merk, die einen entsprechenden Kabinettsentscheid erwirkt hatte, verwies zur Begründung auf „erheblichen Unmut in der Bevölkerung“. Auch bei der Polizei und den Behörden hatten die Beschwerden zugenommen. Um Abhilfe zu schaffen, so ein Regierungssprecher, wollen alle Betroffenen in der nächsten Woche zu einer Art „konzertierter Aktion“ zusammenkommen.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Hans Eveslage schlug „schnelle und wirksame Sofortmaßnahmen“ vor: Den Eltern bettelnder Kinder solle das Sorgerecht und die Aufenthaltsgenehmigung entzogen werden. Tatsächlich haben sich bereits mehrere Gemeinden im Regierungsbezirk Braunschweig geweigert, asylsuchende Roma aufzunehmen. Reimar Paul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen