piwik no script img

Chronik der Eitelkeiten

Die Deichtorhallen zeigen eine Retrospektive der erfolgreichen amerikanischen Fotografin  ■ Annie Leibovitz

„An mir klebt das Stigma, berühmte Leute zu fotografieren“, sagte Annie Leibovitz einmal, aber das habe sie doch schließlich schon immer getan. Hierzulande berühmt geworden ist die 42jährige Amerikanerin wohl spätestens mit ihrer Werbegalerie prominenter deutscher Kreditkartenbesitzer, von Lothar Matthäus bis Marianne Sägebrecht, die alle einfach mit ihrem guten Namen bezahlen. In der nördlichen Deichtorhalle wird heute abend eine Ausstellung eröffnet, die mit 130 Aufnahmen einen Überblick über die bisherigen 20 Schaffensjahre der vielfach ausgezeichneten amerikanischen Fotografin zu geben versucht. Die Hansestadt ist die dritte Station der Leibovitz-Europatournee.

1949 im US-Staat Connecticut geboren, brachte sie als junge Fotografiestudentin Anfang der siebziger Jahre ihre ersten Schwarz- Weiß-Aufnahmen beim Musikmagazin Rolling Stone unter: Es entstanden neben Fotoreportagen über

Anti-Vietnam-Demonstrationen und Nixons politischen Abtritt die Porträts von John Lennon, Louis Armstrong privat vor laufendem Fernseher die Trompete blasend oder Ray Charles beim Interview.

1973 avancierte Annie Leibovitz zur Chef-Fotografin des Rolling Stone, 1975 begleitete sie die fast gleichnamige Band auf Konzerttour, der vorläufige Höhepunkt ihrer Kunst der Bildreportage: Keith Richards im Hotelzimmer mit seinem Sohn Eisenbahn spielend oder völlig stoned in der Ecke liegend, Mick Jaggers frisch vernähter Unterarm.

Vielleicht ist es der Reportagecharakter dieser frühen Leibovitz- Aufnahmen, den ihre späteren Fotos, mit wachsender Prominenz ihrer „Modelle“ und Kommerzialisierung ihrer eigenen Arbeit, vermissen lassen. 1981 wechselt Annie Leibovitz zur Hochglanz-Illustrierten Vanity Fair und fotografierte fortan hauptsächlich in Farbe. So ungeschönt sie die Prominenz aus

Musik-, Kunst- und Show-Business anfangs mit der Kamera einfängt, so gekonnt schmeichelhaft trägt sie dann als gefragte Porträtfotografin der Eitelkeit eines Clint Eastwood, einer Bette Midler oder gar eines Arnold Schwarzenegger Rechnung, den sie, hoch zu Roß, mit nacktem Oberkörper und Zigarre ablichtet. Annie Leibovitz will, so scheint es, nicht eingreifen in das perfekte Image ihrer potenten Auftraggeber, überhöht dieses kommentarlos durch Arrangements im Studio.

Leibovitz' aktuellen Fotografien wurde ein eigener Raum gewidmet: Vornehmlich in Schwarz-weiß beginnt Leibovitz die „Schattenseiten“ des Lebens auf abstrakte, artifizielle Art zu thematisieren: Die Performerin Diamanda Galas erscheint nackt und an einem Kreuz aufgehängt, eine kahlköpfige Frau ist bis zu den Schultern in Erde eingegraben. Deichtorhallen-Direktor Zdenek Felix, der die Ausstellung gestern der Presse vorstellte, wagte die Prognose, daß sich Annie Leibovitz derzeit noch einmal auf „neues Terrain“ begebe. Mechthild Bausch

Deichtorhallen, bis 20.9

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen