: Französische Nonne sprach Arabisch!
■ Aphasie nach Schlaganfall: Mehrsprachigkeit heilt / Logopäden tagen in Hannover
Mehrsprachigkeit kann den Heilungsprozeß nach Schlaganfällen bei Patienten mit Sprachverlust (Aphasie) fördern. Dieses Ergebnis präsentierte Michel Paradis von der Universität Montreal (Kanada) während des 22. Weltkongresses der Internationalen Gesellschaft für Logopädie und Phoniatrie (IALP) in Hannover. An dem noch bis Freitag (14.) dauernden sechstägigen Treffen nehmen rund 650 Wissenschaftler teil. Paradis, Logopäde und Vorsitzender des Aphasie-Ausschusses der IALP, fordert daher, Tests bereits im Krankenhaus mehrsprachig auszurichten.
Weltweit gibt es nach Angaben von Paradis einen Schlaganfall- Patienten pro 10.000 Einwohner. Als Folge eines Anfalles ist bei rund einem Viertel der Betroffenen die Sprache gestört, obwohl die dafür notwendige Muskulatur intakt ist und geistige Fähigkeiten nicht beeinträchtigt sind. Zusätzliche Lähmungen einer Körperhälfte verhindern schriftliche Mitteilungen und geben Betroffenen das Gefühl von Isolation. Statistiken allerdings liegen nicht vor. Nach Schätzungen sind allein in den alten Bundesländern jährlich wenigstens 25.000 neue Fälle behandlungsbedürftig.
Etwa die Hälfte der Aphasie- Patienten, so schätzt Paradis, habe vor dem Anfall zwei oder mehrere Sprachen gesprochen. Bereits geringe Kenntnisse einer Fremdsprache könnten zu neuer Kommunikation verhelfen. „Sie reichen in manchen Fällen aus, um Transferleistungen für das Wiedererlernen etwa der Muttersprache zu erbringen, die nach dem Anfall brach lag.“ Darüber hinaus zeige erst ein vergleichender mehrsprachiger Test verbliebene Fähigkeiten in den erlernten Sprachen.
Paradis' Untersuchungen zeigen ein differenziertes Bild des Heilungserfolges. „Manche Patienten sprechen nach einiger Zeit sämtliche Sprachen wieder genau so gut oder schlecht wie zuvor.“ Andere finden nur die Muttersprache wieder, und dritte können sich in einer vielleicht nur kurz erlernten Sprache am besten artikulieren. Im Klinikalltag allerdings werde meist die Landessprache der Logopäden getestet und am Patienten trainiert. Hier sieht auch der Deutsche Logopädenverband nach Angaben einer Delegierten Nachholbedarf.
„Von einem Tag auf den anderen wechselte sie zwischen Französisch und Arabisch“, beschreibt Paradis den Fall einer Nonne, die nach einem Autounfall nicht mehr sprechen konnte. Die gebürtige Französin hatte im Kloster arabisch gesprochen und beherrschte beide Sprachen fließend. Bei den Tests konnte sie an einem Tag Worte nur in ihrer Muttersprache oder aber nur in Arabisch aussprechen. „Sogar innerhalb eines Wortes mischen Betroffene ihre unterschiedlichen Sprachen“, berichtet Paradis.
Vor dem Hintergrund zahlreicher ausländischer Bürger und den Wanderungen innerhalb Europas erfahre die Thematik eine neue Dimension. „Jeder von uns hat in der Schule eine Fremdsprache erlernt und immer mehr Menschen lernen aus beruflichen Gründen weitere Sprachen.“ Petra Häussermann/dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen