: Narziß Langeweiler
■ Heyme als Narziß und Regisseur im Radio: ein Hörspiel
Narziß, der Selbstverliebte, erzählt: „Ich war ein liebes Kind, ein schönes Kind, ein kluges Kind“. Was sonst?? Natürlich war der Kleine auch unerträglich, „höchst überflüssig und immer hungrig“. Und früh lernte er, seine Familie und seine Umgebung zu tyrannisieren.
„Variationen über Narziß“ hatten die Hörspielmacher von Radio Bremen angekündigt. Den antiken Mythos „konfrontierten“ die Hörspielautoren Christian Christ und Werner Sprenger akustisch mit der „Lebensgeschichte eines narzißtisch gestörten Menschen“. Natürlich hatte ihr Narziß einen eitlen Vater, einen schwadronierenden Romanistik-Professor, der seinen Sohn beim Mittagessen im Familienkreise (pünktlich!) mit klassischen Zitaten füttert. Und natürlich hatte er eine noch eitlere, schöne, aber dumme Mutter, Schauspielerin und abgebrochene Romanistikstudentin, die den halben Tag vor dem Spiegel verbringt. Natürlich hat das liebe Kind keine Freunde — wie könnte es auch, so schön, klug und selbstgenügsam wie es ist, und natürlich langweilt Narziß alles: die Schule, das Leben, die Liebe — und er selbst. Aber nicht einmal ein Selbstmord kommt infrage, um diesem öden Leben ein Ende zu bereiten. Denn was wäre schon ein ästhetischer Tod? Als aufgedunsene Wasserleiche enden? Igitt! Sich erhängen? Nicht auszudenken, was passiert, wenn der Strick reißt. Und weil es gar kein Ende nimmt, langweilt Narziß schließlich am meisten die Kritikerin.
Denn Christs und Sprengers Narziß ist kein Mensch mit einem Charakter, er ist nur ein Typ, dazu ein neurotischer. Auch die Autoren konnten ihm kein neues oder überraschendes Moment abgewinnen. Nicht einmal ein dramatisches: Ihr Narziß entstammt direkt dem psychoanalytischen Lehrbuch. Ein Idealfall, gewissermaßen. Und daß er weiß, daß er schon Horden von Psychoanalytikern beschäftigt hat, die ihm „mangelnde Repräsentanz des Selbstobjekts“ bescheinigen, macht es nur noch schlimmer.
In zehn Spielszenen erzählt Narziß sein Leben, ergänzt durch Dialoge und Monologe seiner Eltern, der Freunde, der Geliebten. — Alles Statisten. Dazwischen flocht Regisseur Hans-Günther Heyme den antiken Mythos, aus dem Ovidschen übersetzt, den er höchstpersönlich höchsttheatralisch deklamiert. Doch in der „Konfrontation“ mit dem Mythos zeigt sich: Dem guten alten Ovid hatten die Hörspielautoren wenig hinzuzufügen. Der antike Mythos ist bunt genug, und über Narziß sagen die „illustrierenden“ Spielszenen nichts, was die alten Griechen nicht auch schon wußten. Statt Variationen also nur Bekanntes: Wie wir uns Narziß schon immer vorgestellt haben.
Diemut Roether
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