: Kurdistan: Neue Todesschüsse auf Journalisten
In seinem letzten Zeitungskommentar hatte Hüseyin Deniz die mörderische Zusammenarbeit zwischen Staat und Hizballah angeprangert ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Bedrückendes Schweigen herrscht in der Cafétaria der Istanbuler Tageszeitung Özgür Gündem, als der Kolumnist Haluk Gerger das Wort ergreift, um die Kollegen anderer Tageszeitungen zur Solidarität zu mahnen: „Lassen wir einmal diese Mörderbande beiseite. Sie sind nur das Werkzeug. Dieser Staat und diese Regierung gehen mit barbarischer Gewalt vor. Ein Fluch für dieses Land. In Kurdistan herrscht Bürgerkrieg. Weil wir Vorschläge unterbreiten, um den Bürgerkrieg zu beenden, hat man einen Vernichtungsfeldzug gegen uns eröffnet.“
Die Worte des türkischen Intellektuellen, der von Anfang an die prokurdische Tageszeitung unterstützte und in ihr publizierte, treffen den Kern. Der von kurdischen Unternehmern gegründeten Zeitung Özgür Gündem, die sich durch eine kritische Berichterstattung zu Türkisch-Kurdistan einen Namen gemacht hat, soll der Garaus gemacht werden. In zwei Monaten wurden drei Mitarbeiter der Zeitung von Killerkommandos ermordet.
Letztes Opfer ist der Korrespondent Hüseyin Deniz, der vergangenen Samstag in der kurdischen Stadt Ceylanpinar auf dem Weg zur Arbeit mit einem Kopfschuß niedergestreckt wurde. PEN-Mitglied Deniz, der mehrere Bücher zur kurdischen Geschichte veröffentlichte, hatte zwei Tage vor seiner Ermordung in einem Kommentar die Regierung für die Morde an den Journalisten verantwortlich gemacht: „Die Journalistenmorde passieren unter einer Koalitionsregierung, die sich selbst als Meisterin von ,Demokratisierung‘ und ,Transparenz‘ preist. Doch die Regierungspolitik ermuntert die Mörder, Journalisten umzubringen“. Der Mord an dem Özgür Gündem-Korrespondenten Yahya Orhan, der in der kurdischen Stadt Gercüs nur 100 Meter von der Polizeiwache von „Unbekannten“ erschossen wurde, war der aktuelle Anlaß für Deniz' Kommentar. „Orhan war das vorläufig letzte Opfer. Ich spreche von ,vorläufig‘, weil ich nicht wissen kann, ob andere Journalisten ermordet sein werden, wenn dieser Artikel erscheint“, schrieb er in seinem letzten Kommentar. Zwei Tage danach fiel er den Killerkommandos zum Opfer.
Alle Indizien weisen darauf hin, daß die Morde von der islamischen Gruppe „Hizballah“ verübt wurden. Die Hizballah ist nicht mit der gleichnamigen Terrorgruppe, die vom iranischen Fundamentalistenregime unterstützt wurde, zu verwechseln. In Kurdistan ist es ein offenes Geheimnis, daß die „Hizballah“ ein Ableger der „Counter-Guerilla“ ist, die im staatlichen Auftrag die Drecksarbeit im kurdischen Bürgerkriegsgebiet übernimmt. Presseberichte belegen die Kooperation zwischen Polizei- und Militärapparat mit den fundamentalistischen Mördern. So wurden Hizballah-Anhänger auf Polizeigelände ausgebildet. Konsequenterweise spricht die Özgür Gündem von einer „Hizballah-Counter-Guerilla- Mörderbande“, um die Zusammenarbeit des Staates mit einer Mörderbande zu umschreiben. Kurdische Persönlichkeiten, die der Arbeiterpartei Kurdistans PKK nahestehen, sowie kritische Journalisten in den kurdischen Gebieten sind die Opfer. Seit dem Amtsantritt der Regierung Demirel vor 9 Monaten sind 161 Personen von „Unbekannten“ ermordet worden, darunter neun Journalisten. Es spricht für sich, daß keiner der Täter der Hizballah-Morde gefaßt wurde. Um die Berichterstattung in dem dreckigen Krieg zu verunmöglichen ist nun ein systematischer Ausrottungsfeldzug gegen Journalisten im Gang.
„Was haben Journalisten auch dort zu suchen“ fragte der türkische Innenminister Ismet Sezgin zynisch, nachdem der türkische Fotoreporter Izzet Kezer in dem kurdischen Cizre von einem Panzerwagen der Polizei aus erschossen wurde. Er hatte fotografiert, wie Militär auf unbewaffnete kurdische Zivilisten, die das Frühjahrfest Newroz feierten, schoß. Während Hüseyin Deniz im Sterben lag, gab der Innenminister der türkischen Tageszeitung Milliyet ein Interwiew und bezweifelte, daß die Ermordeten Journalisten seien: „Wir haben die Geschichte untersucht. Einige haben keinen Arbeitsvertrag. Wir gehen davon aus, daß es sich um einen Propagandafeldzug und um Fehden in der Organisation handelt.“ In dem Interview werden die Opfer einfach zu „PKK-Sympathisanten“ gestempelt.
Dutzende Korrespondenten von Özgür Gündem wurden in den kurdischen Regionen festgenommen und gefoltert. So der Cizre-Korrespondent Abdallah Arisoy, der 13 Tage im Polizeiquartier Sirnak mit Elektroschocks gefoltert wurde. Nun wird ihm vom Staatssicherheitsgericht der Prozeß wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation gemacht. Es ist bezeichnend, daß journalistische Tätigkeit in der Anklageschrift zum Verbrechen gestempelt wird. „Der Angeklagte hat Aktionen der PKK verfolgt und darüber in der Zeitung berichtet. Er hat mit ausländischen Journalisten gesprochen, um das türkische Militär und den Staat schlecht zu machen.“
„Unsere Kollegen werden ermordet, zu Krüppeln geschossen, festgenommen und gefoltert“ umschreibt Chefredakteur Hasan Bildirici die Arbeitsbedingungen der Journalisten in Özgür Gündem. „Wir finden keine Worte mehr“ hieß es in der Schlagzeile nach dem Mord an Hüseyin Deniz. „Doch wir werden fortfahren zu schreiben und den Lügenballon zum Platzen bringen“ sagt Haluk Gerger.
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