: Schwangerschaft auf Abruf
Ob die Chorionzottenbiopsie tatsächlich Fehlbildungen verursacht, wird sich wahrscheinlich weder beweisen noch widerlegen lassen. Wo Risiken begrenzt werden sollen, werden neue Risiken geschaffen. Schon beginnen die Schuldzuweisungen. Es wäre aber zu einfach, die WissenschaftlerInnen der neuen Studien als „unerfahren“ und mediengeil“ abzutun, die HumangenetikerInnen als „geldgierig“ und „skrupellos“.
Die medizinische Forschung in der Pränataldiagnostik hat eine Eigendynamik entfacht, die kaum mehr zu stoppen ist: Beträchtliche Forschungsgelder fließen in die Humangenetik. Immer mehr Krankheiten und Behinderungen werden genetischen Ursachen zugeschrieben. ForscherInnen können angeblich immer mehr vorgeburtlich „entdecken“. GynäkologInnen und Diagnoselabors wollen mit Tests verdienen. Immerhin betragen die Laboreinnahmen durch vorgeburtliche Gen-Tests 1990 in den USA 550 Millionen Dollar. Gesundheitspolitiker stellen Kosten-Nutzen-Rechnungen zwischen dem Aufwand für die Versorgung behinderter Menschen und deren „Verhinderung“ durch genetisches Massenscreening und „therapeutische Abtreibung“ an.
Frauen flößen Umweltschäden, Doppelbelastung, Arbeitsplatzunsicherheit, fehlende öffentliche Kinderbetreuung und Behindertenfeindlichkeit Angst ein: Sie wollen „vorsorgen“, sich „versichern“ und hoffen, pränatale Tests könnten ihnen Sorgen nehmen. Tatsächlich führen die Diagnosetests meistens zu weiteren Verunsicherungen, Ambivalenzen, Komplikationen einer „Schwangerschaft auf Abruf“. Einer Schwangerschaft, die zur Krankheit wird, statt zur „guten Hoffnung“. Schwangere Frauen können die Befunde der GenetikerInnen nicht selbst deuten, die Entscheidungsgrundlagen liefern die Experten. ÄrztInnen können höchstens Aussagen über mögliche Krankheitsmerkmale treffen, nicht aber über das Ausmaß der Krankheit, die individuelle Entwicklung und die Persönlichkeit eines Kindes. Frauen müssen sich entscheiden im Hinblick auf Wahrscheinlichkeitsstatistiken und Risikokurven — Abstraktionen, die kaum mit ihrer Lebenssituation und ihrer Schwangerschaft zu verbinden sind.
Wissen kann aber auch zur Last, und Nichtentscheidung zum Luxus werden, den sich kaum eine mehr leisten zu können glaubt. Durch die Pränataldiagnostik werden Frauen abhängig von Medizinern, deren Wissen, deren Erfahrung, deren Definitionsmacht über das Ungeborene in ihrem Bauch. Frauen werden aber auch zum Experimentierfeld für die Technikübungen der Forscher, für Karriereleitern, erklommen durch neue Methoden.
Ein Ausweg wäre in Sicht, wenn Frauen zum Chorionzottenbiopsie-Test nein sagten, die ohnehin nur eine vermeintliche Sicherheit schaffen. Barbara Sastra
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