: Nazi bleibt Täter trotz der deutschen Einheit
Kassationsverfahren in Berlin um das Urteil gegen einen SA-Mann/ Otto Bunsdorf war 1950 in der DDR zu 25 Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden/ Beteiligt an der „Köpenicker Blutwoche“ ■ Aus Berlin Plutonia Plarre
Dem Tatendrang der angeblich so überlasteten Staatsanwaltschaft am Berliner Kammergericht sind beim Feldzug gegen die frühere DDR-Justiz keine Grenzen gesetzt. Vor der 52. Kassationskammer des Berliner Landgerichts beantragte die Behörde jetzt, das 1950 von der 4. Strafkammer des Ostberliner Landgerichts gegen einen früheren Kriminaldirektor und SA-Scharführer verhängte Urteil aufzuheben und Freispruch zu verkünden. Der Angeklagte Otto Bunsdorf war seinerzeit wegen Beteiligung an den Greueltaten bei der „Köpenicker Blutwoche“ im Juni 1933 zu 25 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Außerdem war die Einziehung seines Vermögens angeordnet worden. Der zum Zeitpunkt des Prozesses 71jahre alte Mann hatte die Vorwürfe vehement bestritten. Er saß bis 1957 im Zuchthaus Brandenburg und starb genau an dem Tag, an dem er begnadigt werden sollte.
Der Prozeß am vergangenen Dienstag war gespenstisch. Nach dem Kassationsrecht hat das Gericht nur darüber zu befinden, ob das beanstandete Urteil politisch begründet war und unter schwerwiegenden Rechtsfehlern zustande kam. Zur Entscheidung werden nur die alten Gerichtsakten und das Urteil herangezogen, eine erneute Beweisaufnahme erfolgt nicht. Die Staatsanwaltschaft und die knapp 60jährige Enkelin des Verstorbenen, der es vermutlich um die Freigabe des eingezogenen Vermögens des Großvaters ging, waren der Auffassung, Bunsdorf sei Opfer eines „politischen Willkürprozesses“ geworden. Die Verhandlung beschränkte sich darauf, daß der Vorsitzende Richter Andre Falckenberg stundenlang Auszüge aus dem Hunderte Seiten umfassenden Urteil der 4. Strafkammer des Ostberliner Landgerichts von 1950 vorlas. Emotionslos leierte er Seite um Seite die Zusammenfassung des damaligen Gerichts über die Machtergreifung der NSDAP, Reichstagsbrand, Verbot der KPD und Terrorwellen der SA gegen Antifaschisten, Gewerkschaflter, SPD- und KPD-Mitglieder und Juden hinunter, die zwischen dem 21. und 27.Juni 1933 im Berliner Arbeiterbezirk Köpenick in der „Köpenicker Blutwoche“ gipfelten. Als er bei der Beschreibung der Tatbeteiligung von Otto Bunsdorf angekommen war, war die Stimme des Vorsitzenden so kraftlos, daß sie kaum noch zu verstehen war. Falckenberg wirkte so unbeteiligt, daß es den Anschein hatte, er werde das Urteil aufheben. Das Gegenteil war der Fall.
Der Prozeß vor der 4. Strafkammer des Ostberliner Landgerichts im Juni und Juli 1950 war vom äußeren Anschein nach zweifellos ein Schauprozeß. Angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlickeit nach dem Kontrollratsgesetz waren insgesamt 57 Angeklagte. Vor Gericht standen jedoch nur 32, darunter der Hauptangeklagte, der ehemalige Sturmführer der SA, Friedrich Plönzke, und der ehemalige SA- Scharführer Otto Bunsdorf. Die übrigen waren flüchtig oder lebten im Westen, der die Auslieferung verweigerte. Der Prozeß, in dem Hunderte Zeugen gehört wurden, endete für 15 Angeklagte mit der Todesstrafe, 13 bekamen lebenslängliches Zuchthaus, der Rest Haftstrafen. Bei Prozeßbeginn war es fast auf den Tag genau siebzehn Jahre her, daß bei der Köpenicker Blutwoche über 500 Menschen, darunter viele Angehörige der KPD und SPD, von 15 SA- Sturmtrupps aus ihren Wohnungen geholt, in SA-Lokale und in das Amtsgericht Köpenick verschleppt, verhört und grausam gefoltert wurden. Die SAler schlugen mit Gartenstühlen, Gummiknüppeln, Stahlruten, Kavalleriesäbeln auf ihre Opfer ein. Von den Schlägen lösten sich Haut und Fleisch am Körper ab, die Opfer bekamen Teer und Salz in die Wunden gestreut, mußten Kot und Gift essen, manchen wurden Hoden und Ohren abgeschitten, Schwefelsäure in die Harnröhre injiziert. Der Betsaal des Amtsgerichts Köpenick, indem sich inzwischen eine Gedenkstätte befindet, glich einer Metzgerei. Viele der Opfer, darunter der ehemalige SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin, Johannes Stelling, und der Gewerkschaftsführer und Funktionär des Reichsbanners, Paul von Essen (SPD), wurden ermordet. Einige, wie von Essen, wurden zerstückelt, in Säcke eingenäht und in der Dahme, einem Spreearm, versenkt. 21 Leichen wurden später gefunden, 70 Personen sind bis heute verschwunden. Von denen, die ihre Verletzungen überlebten, waren viele den Rest ihres Lebens Invaliden.
Der 1978 bei Bernburg geborene Otto Bunsdorf hatte seine Laufbahn 1918 bei der Berliner Kriminalpolizei begonnen. Später entwickelte er sich zu einem Spezialisten für durch Wilddiebe begangene Förstermorde. Obwohl Mitglied der SPD, zahlt er ab 1931 heimlich Mitgliedsbeiträge an die SA, trat dieser im April 1933 bei und wurde Scharführer. Vor Gericht hatte Bunsdorf damals zugegeben, daß er den Reichsbannerfunktionär Paul von Essen in seiner Eigenschaft als Schießsachverständiger wegen unbefugten Waffenbesitzes am 21.Juni 1933 in eines der SA-Sturmlokale geholt und dort vernommen habe. Danach habe er sich jedoch aus dem Lokal entfernt. Die 4. Strafkammer des Ostberliner Landgerichts war der Meinung, daß sich Bunsdorf durch die Vernehmung von Essen „aktiv an dessen Verfolgung beteiligte“ und für seine Ermordung mitveranwortlich gewesen sei.
Dieser Auffassung schloß sich die 52. Kassationskammer des Landgerichts jetzt voll an. „Keine Passage in dem Urteil“, so Richter Falckenberg, „deutet daraufhin, daß das Gericht Bunsdorf mit aller Kraft verurteilen wollte“. Es handele sich hier auch nicht um ein politisches Urteil, weil die Geschehnisse nicht losgelöst von der politischen Entwicklung 1933 gesehen werden könnten. Das damalige Gericht, so Falckenberg weiter, hätte Bunsdorf ohne weiteres nur nach dem Kontrollratsgesetz wegen Kollektivschuld verurteilen können. Dies habe es aber noch nicht einmal getan, weil es Beweise für eine individuelle Schuld des Angeklagten anführe. „Es kann auch Täter sein, wer die Tat gebilligt hat“, so Falckenberg.
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