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Ruß schwebt über dem Tal des Todes

Brasiliens Schwerindustriezentrum Cubatao ist nicht mehr die dreckigste Stadt der Welt, doch vom „Symbol für Ökologie“ ist es noch weit entfernt/ Parteienfilz läßt den Dreck wieder zunehmen  ■ Aus Cubatao Astrid Prange

Lebten Marx und Engels noch, sie könnten ihre Untersuchungen von England nach Brasilien, genauer gesagt nach Cubatao, verlegen. In der Industriestadt, nahe der Metropole Sao Paulo, dominiert noch immer das Lumpenproletariat. Die Masse der ungelernten Arbeiter haust zusammengedrängt in Pfahlbauten am Ufer von Mangrovensümpfen, in ausgedehnten Elendsvierteln (Favelas) oder in einzelnen Bretterbuden direkt neben den Anlagen der Schwerindustrie. Einziger Unterschied: Am Ausgang des 20. Jahrhunderts erfreuen sich die rund 100.000 Einwohner Cubataos nun eines umweltfreundlichen Kapitalismus, wie die Stadtverwaltung stolz verkündet. Wirklich?

In Cubatao werden ein Drittel der chemischen Rohstoffe Brasiliens für die weiterverarbeitende Industrie produziert. Neben Zement- und Papierfabriken spielt die Produktion von Stahl, Dünger und Treibstoff eine große Rolle. In den 23 Betrieben werden 40 Prozent des brasilianischen Stahls und 47 Prozent des nationalen Stickstoffdüngers hergestellt. Der staatliche Mineralölkonzern Petrobras verwandelt in seinen Raffinerien unter anderem Rohöl in Diesel, Benzin und Kerosin.

Täglich rieseln 86 Tonnen Staub, zehn Tonnen Kohlenmonoxid, 50 Tonnen Schwefeldioxid und 47 Tonnen Stickstoffoxide auf die Stadt hinunter, die idyllisch zwischen dem Meer und der 800 Meter hohen Gebirgswand, der „Serra do Mar“, liegt. Bevor die Unternehmen in Umwelttechnologie wie Filter und Gaswaschanlagen investierten, lagen die Emissionswerte um das Doppelte bis Dreifache höher. Dennoch sind die grünen Hänge auch bei schönem Wetter von den Rauchschwaden der Industrieschlote verhangen. Vor lauter Smog haben die Einwohner Cubataos bereits vergessen, wie blau der Himmel über ihnen sein könnte.

Merkwürdigerweise will in der Bevölkerung keine echte Freude über die Fortschritte im Bereich Umweltschutz aufkommen, die Unternehmer und Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit der Umweltbehörde des Bundesstaates Sao Paulo, CETESB, in den vergangenen zehn Jahren erreicht haben. Nach Angaben der Umweltbehörde sind 90 Prozent der 320 primären Schmutzquellen bereits unter Kontrolle. Rund 450 Millionen Dollar hätten die Unternehmen von 1984 bis 1991 in den Bereich Umweltschutz investiert.

„Umweltschutz bringt nur Probleme“, stellt Gemeinderat Pedro Hildebrando aus Cubatao klar. Jeder Arbeiter sei eher bereit, einen unangenehmen Geruch zu ertragen, als seine Stellung zu verlieren. Für die Masse der ungelernten Arbeiter hat sich seit dem Beginn des Umweltprogramms in Cubatao im Jahr 1984 zudem wenig geändert. „Rund 14.000 Wohnungen fehlen, 40 Prozent der Bevölkerung wohnen in Elendsvierteln“, räumt der Umweltsekretär von Cubatao, Raul Christiano de Oliveira Sanchez, ein. Zwar regten sich in den Mangrovensümpfen wieder Krebse und der „Rio Cubatao“ eigne sich wieder zum Fischfang, doch es sei wahrscheinlich, daß die Tiere mit Schwermetallen belastet seien.

Noch immer strömen Familien aus dem unterentwickelten Nordosten Brasiliens in der Hoffnung auf ein besseres Auskommen in die Industriestadt Cubatao. „Sie rühren die Werbetrommel für Cubatao, um die Löhne zu drücken“, verdächtigt Joao do Bernei Tavares, Kandidat der Arbeiterpartei (PT) für die Bürgermeisterwahlen im Oktober. Der 32jährige Gewerkschafter kam im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern aus dem nordöstlichen Bundesstaat Paraiba in Cubatao an.

Joao Bernei hat trotz der Arbeiter kaum Chancen, den Bürgermeistersessel der Stadt zu erobern. Im Gegensatz zu den gut organisierten Genossen der Automobilindustrie in Sao Paulo sind den Zuwanderern aus dem Nordosten Gewerkschaften und politische Parteien völlig fremd. Wer immer es sich leisten kann, wohnt in der zwölf Kilometer entfernten Küsten- und Hafenstadt Santos. „Hier wohnt nur das Lumpenproletariat“, erklärt Bernei.

Es drängt sich die Frage auf, warum ausgerechnet eine Stadt des Lumpenproletariats zum „Symbol für Ökologie“ herausgeputzt werden soll. Der Wandel vom ökologischen Saulus zum Paulus hat wohl vier Gründe: das Ende der brasilianischen Militärdiktatur, Umweltkatastrophen, finanzielle Unterstützung der Weltbank sowie innenpolitische Rivalitäten.

Bis 1985 galt das Gebiet um Cubatao für die ehemalige Militärjunta Brasiliens als unberührbare nationale Sicherheitszone. Im selben Jahr stürzten infolge von starken Regenfällen Erdmassen die Gebirgswände nach Cubatao ins Tal hinab und zerstörten eine Pipeline, die Salmiakgeist transportierte. Die gesamte Bevölkerung des Stadtviertels Vila Parisi mußte evakuiert werden.

Nach dem Vorfall wuchs das Interesse von Unternehmern und Stadtverwaltung, das durch die Luftverschmutzung hervorgerufene Waldsterben aufzuhalten und die Hänge wieder zu begrünen. Ein Jahr zuvor waren 90 Favela-Bewohner bei lebendigem Leibe verbrannt, als eine Benzin-Pipeline des Mineralölkonzerns Petrobras platzte und die Holzbaracken von dem enormen Flammensturm hinweggefegt wurden. Der Unfall bescherte der Stadt den Beinamen „Tal des Todes“.

„Früher waren Öllachen in Flüssen und Abwassergräben ganz normal, heute käme das sofort in die Zeitung“, lobt Adalberto Nascimento dos Santos die Fortschritte in seiner Heimatstadt. Adalberto, Sohn von Einwanderern aus dem Nordosten, bezeichnet sich stolz als „Kind Cubataos“ und arbeitet in der Presseabteilung der Stadtverwaltung. Und noch eine beachtliche Leistung seines Chefs streicht er heraus: Beim Amtsantritt von Bürgermeister Nei Serra im Jahr 1989 verfügte die Stadt nicht über einen einzigen Abwasserkanal, heute seien zwei Drittel der Haushalte an das System angeschlossen.

Den Ausbau der Kanalisation verdanken die Einwohner Cubataos pikanterweise in erster Linie der Nachbarstadt Santos, die von der Bürgermeisterin Telma de Souza, Mitglied der Arbeiterpartei PT, regiert wird. Um zu verhindern, daß sich die PT- Anhängerschaft auch in Cubatao mehrt, wurden schleunigst die überfälligen Rohre verlegt.

„Das Bewußtsein für Umweltschutz ist noch schwach. Nur wenn Umweltschutz politischen oder materiellen Gewinn hervorbringt, wird investiert“, lautet die Erfahrung Joao Berneis. Als Beispiel nennt er die Feilscherei um das kürzlich in den Bucht von Santos entdeckte Naturgas. In diesem Monat beginnt die Petrobras-Raffinerie Presidente Bernardes (RPBC), in Cubatao täglich 500.000 Kubikmeter Gas in Dampf und elektrische Energie umzuwandeln. Der Einsatz von Naturgas an Stelle von Rohöl würde den Ausstoß von Schwefeldioxid beträchtlich verringern.

Während in der Landeshauptstadt Sao Paulo die Abnehmer bereits Schlange stehen, haben in Cubatao lediglich neun der 23 Industriebetriebe Interesse an dem umweltfreundlichen Treibstoff geäußert. Der Grund für die Zurückhaltung ist der Preis. Die brasilianische Regierung bietet den Unternehmern eine Million BTU (British Termal Unit) Naturgas für 3,1 US-Dollar an. Die Firmenvertreter argumentieren, daß die Wärmeerzeugung mit Hilfe von Rohöl zehn Prozent billiger wäre.

Die Unternehmer sträuben sich nicht allein. Der Filz zwischen der Landesregierung von Sao Paulo, Lokalpolitikern, Firmenvertretern und der Umweltbehörde hat dazu beigetragen, daß das zunächst rigorose Umweltprogramm ins Lahmen geraten ist. Innerhalb der letzten eineinhalb Jahre wurde gerade eine zusätzliche Primärquelle unter Kontrolle gebracht.

Werner Zulauf, der als ehemaliger Direktor der CETESB das Programm zur Reinigung Cubataos mitgestaltete, bestätigt die Entwicklung. Die Verschmutzung habe in den vergangenen ein bis zwei Jahren wieder sichtlich zugenommen. „Die CETESB braucht strengere Kontrolleure. Wenn die Leute zu lange im Amt sind, verlieren sie die Autorität“, beobachtet der Umweltexperte. Staubpartikel seien zur Zeit die gravierendste Ursache der Luftverschmutzung Cubataos. Noch immer rieseln 32.000 Tonnen Staub pro Jahr auf die Stadt hinunter, die zum Großteil aus den Schloten der Stahlschmiede Cosipa stammen.

Am Beispiel des Stahlwerks Cosipa wird der „Umweltschutz à la brasileira“ besonders deutlich sichtbar. Die Firma, die dem Bundesland Sao Paulo gehört, ist mit Abstand die größte Dreckschleuder von Cubatao. Der Betrieb mit rund 12.000 Angestellten hat achtmal Besserung versprochen, ohne die Versprechen einzuhalten. Dennoch ist er mit Geldstrafen bisher verschont worden.

Die Statistik weist dagegen den Mineralölkonzern Petrobras als Champion beim Strafezahlen aus. Rogerio Picado, in der Petrobras- Raffinerie in Cubatao für Umweltkontrolle zuständig, hat für das Phänomen sogleich eine Erklärung parat: „Cosipa und CETESB unterstehen dem Gouverneur von Sao Paulo. Fleury will sich keinen Ärger im eigenen Haus schaffen, sondern ist daran interessiert, sich und seiner Partei (PMDB) im Bereich Umweltschutz einen Namen zu machen.“

Petrobras hingegen gehört dem Bund. Brasiliens Präsident Fernando Collor hat seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren bereits fünf verschiedene Vorsitzende des Mineralölkonzerns verschlissen. Für Gouverneur Fleury und seine Parteigenossen, die im Kongreß in der Hauptstadt Brasilia die Oppositionsbänke drücken, ist es eine Wonne, dem Repräsentanten des politischen Gegners reihenweise Strafzettel zu verpassen. Schließlich sind im Oktober Gemeinderatswahlen, und in zwei Jahren beginnt der Präsidentschaftswahlkampf.

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