Suche nach dem Engel

■ Saison in der Musikhalle mit Werken von Bruckner und Trojahn eröffnet

und Trojahn eröffnet

Entgegen inzwischen ausgelutschter Postmodernität will der 1949 geborene Komponist Manfred Trojahn mit seiner Musik wieder Utopien und Hoffnungen freisetzen. Seine 4. Sinfonie für Tenor und großes Orchester (1992), die gestern in der Hamburger Musikhalle mit dem Philharmonischen Staatsorchester, dem Tenor Eberhard Lorenz und dem für die Aufführung zeitgenössischer Musik alt bewährten Dirigenten Gerd Albrecht aufgeführt wurde, zeigt, was das heißt: Musik muß weder die Verbrauchtheit älterer Techniken und Formen wie die der Sinfonie oder Oper verarbeiten, noch muß sie zwingend innovativ sein. Vielmehr geht es darum, den Hörer an einer beschwörenden Musik und ihrer Erschaffung zu beteiligen. Was da zusammen mit dem Auszug aus dem Opernlibretto Der Engel von Tankred Dorst entsteht, gibt sich ganz offen als work-in-progress. Denn seine Sinfonie hat der Komponist nämlich als Auftakt zu einer Oper geplant. Und so ist Sinfonie Oper, wie die Oper Sinfonie. Was sich in dieses Formspiel jenseits aller Absolutheit einschreibt, ist Trojahns ganz persönliche, individuelle Handschrift. Äußerst expressiv, aller sonst so üblichen Experimentierlust zum Trotz, gestaltet der Komponist in fast illustrativ nachahmender musikalischer Manier einen Text, der von der Suche nach dem Göttlichen, nach einem Engel handelt. Die Stimme Eberhard Lorenz' geht bei dieser Anrufung aufs Ganze. Entschieden, immer präsent und deutlich auf Textverständlichkeit hin artikuliert, singt er vom zersetzenden Verlangen, dem angerufenen Engel endlich zu begegnen. Aber Trojahn und Dorst lassen die Hoffnung nur unbestimmt, nur über eine suchende Musik manifest werden. Es gibt keine Gestalt der Utopie, nur den Gesang über sie.

Auch mit der Komposition des Göttlichen befaßt klingt im zweiten Teil des ersten Philharmonischen Konzerts der Saison die 9. Sinfonie Anton Bruckners. Das Hamburger Publikum kann sich wieder zu Hause fühlen. Vertrautere Klänge schmeicheln dem auf Sonntägliches eingestellten Ohr. Bombastisch, verloren im Klangrausch, gereicht Bruckners Werk nun eher zum Gotteslob denn zum suchenden Aufruf wie bei Trojahn. Die Philharmoniker genießen die Großräumigkeit und Extreme der Musik und beschließen das Konzert mit diesem Werk, das wohl eher ihr Metier ist als die Opern-Sinfonie Trojahns. Katrin Meyer