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Solidarität per elektronisches Postfach

■ Soli-Gruppen beginnen zögerlich, moderne Kommunikationssysteme für sich zu nutzen

„Mein Traum war immer die Schülerzeitung, die auf den gleichen technischen Standard für ihre Nachrichten zurückgreifen kann wie die großen Agenturen. Heute ist das erreicht“, sagt Jürgen Wieckmann, Pressesprecher des deutschen COMLINK e.V., eines alternativen Datennetzes. Die Technik der Datenfernübertragung macht's möglich, daß heute so schnell wie nie zuvor schriftliche Nachrichten von A nach B gelangen können.

Der Verknüpfungspunkt vom Netz zu den BenutzerInnen ist die Mailbox. Über das Telefonnetz der Deutschen Bundespost kann sie anwählen, wer über einen Computer und ein Modem oder einen Akustikkoppler verfügt — Geräte, die Daten in akustische Signale hin- und zurückverwandeln. Vor dem Bildschirm vom Menschen zum User mutierend, kann der oder die Anrufende am Schreibtisch Nachrichten aus den elektronischen „Schwarzen Brettern“ lesen oder Post an andere eingetragene BenutzerInnen verschicken.

Den Weiterversand übernimmt der Computer. Und es ist billig. So muß für einen zehnseitigen Brief von Berlin ins mittelamerikanische Nicaragua wenig mehr bezahlt werden als 23 Pfennig für ein örtliches Telefongespräch. Die Laufzeit beträgt selten länger als einen Tag, oft nur wenige Stunden. All das funktioniert über Netze. In der Bundesrepublik hatten sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zwei Datennetze mit alternativem Anspruch gegründet: COMPOST und LINK-SYS. Im Grundsatz verfolgten beide das gleiche Ziel: Die Millionen privater PC-BesitzerInnen sollten ihre Kiste als schnelles Medium zur Verbreitung von Informationen nutzen können, die Szene ein neues Medium erhalten.

Seit 1992 ist COMLINK, die Vereinigung beider Netze, offizielles Mitglied der „Association for Progressive Communication“ (APC). Diese weltumspannende Vereinigung will den Informationszugang in den Ländern der „Dritten Welt“ fördern, aber auch im Stile einer alternativen Nachrichtenagentur deren Informationen verbreiten. Tatsächlich finden sich in den APC- „Brettern“ Nachrichten, die sonst in der Bundesrepublik nicht zugänglich sind. Die Idee der Verbreitung unterdrückter Nachrichten lebt elektronisch wieder auf.

Zur Zeit jedoch ist in der alternativen Kommunikation über Datennetze nicht die sogenannten Dritte Welt, sondern die Bundesrepublik ein Entwicklungsland. Udo Schacht-Wiegand, Mitbegründer von COMLINK, weiß zu erzählen: „Da kommen Soli-Leute aus Deutschland nach Lateinamerika und werden erstaunt gefragt, warum sie denn kein elektronisches Postfach haben. Erst allmählich“, so Schacht-Wiegand, „baut die Alternativszene in der Bundesrepublik ihre Computerfeindlichkeit ab. Gruppen beginnen gerade erst, das Medium für sich zu nutzen wie einst das Videogerät.“

Sind also die Boxen und Netze das Medium schlechthin, das der chronisch finanzarmen Solidaritätsbewegung endlich den in politischen Proklamationen längst erhofften internationalen Erfahrungsaustausch ermöglicht? Ein konkretes Beispiel für die Anwendung der elektronischen Übermittlung kennt Karin Gabbert von den Lateinamerika Nachrichten: Als in Nicaragua ein repressives Anti-Schwulen-und-Lesben-Gesetz verabschiedet wurde, hatten US-amerikanische Gruppen über das APC-Netz sofort zu „Urgent Actions“ aufgerufen. „So schnell und billig hätten wir die Infos sonst nie bekommen“, sagt Karin Gabbert.

Um den Protest nach Nicaragua zu tragen, mußte allerdings auf Traditionelles zurückgegriffen werden: Die Aufrufe enthielten die Fax-Nummern Violeta Chamorros — die Präsidentin ist halt noch nicht soweit. Bernd Pickert

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