Hamburg 1892: "Pesthöhlen und Brutstätten"

■ Eine Ausstellung und ein Veranstaltungsprogramm erinnern an die Opfer der Cholera-Epedemie vor 100 Jahren

vor 100 Jahren

Mit einem Festakt im Rathaus begann gestern das offizielle Erinnern an „Hamburg in den Zeiten der Cholera“ — so der Titel der gleichzeitig eröffneten Ausstellung. Fast 9000 BürgerInnen fielen vor 100 Jahren der verheerenden Seuche zum Opfer.

Die tödlichen Bazillen kamen mit dem Trinkwasser. Jahre zuvor hatte der englische Ingenieur Lindley bereits darauf hingewiesen, daß die von ihm geplante zentrale Wasserversorgung in Rothenburgsort wie in anderen Städten auch mit einer Sandfilteranlage ausgerüstet werden müsse. Doch der Senat verschleppte das Projekt aus Kostengründen jahrelang.

Das gesamte Abwasser Hamburgs floß somit ungeklärt in die Elbe und wurde bei der nächsten Flut flußaufwärts nach Rothenburgsort transportiert, wo das Trinkwasser entnommen wurde. Im heißen Sommer 1892 stand die Brühe stinkend in Hafen und Fleeten, eine ideale Brutstätte für die Bazillen. Am 15. August starb ein Bauarbeiter an starkem Brechdurchfall, das erste Cholera-Opfer.

Innerhalb der nächsten Tage breitete sich die Seuche rasant, aber höchst ungleichmäßig aus. Die meisten Opfer lebten in den Arbeiterbehausungen, über die der Bakteriologe Robert Koch entsetzt berichtete: „Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen, wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat, am Hafen, an der Steinstraße, in der Spitalerstraße oder an der Niedernstraße.“ Mehrere Familien teilten sich eine enge Wohnung, alle Bewohner eines Hauses benutzten gemeinsam ein Plumps-Klosett im Hof. Außerdem gab es wenig Möglichkeiten, Wasser abzukochen, die einzig wirksame Vorbeugung gegen die Cholera. Die betuchteren Hanseaten an der Alster, in Rotherbaum und Harvestehude blieben weitgehend von der Seuche verschont. Sie hatten eigene Bäder und Toiletten, verfügten über Dienstboten, die alles hygienisch sauber hielten und Wasser abkochten, und konnten zudem auf ihre Landsitze flüchten.

„Hamburg wurde von wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen beherrscht, die wenig von der Cholera, aber viel von der Quarantäne zu befürchten hatten“, so die Analyse des Engländers Richard J. Evans, Autor des umfangreichsten Werkes über die Seuche in Hamburg. Heutzutage würden heiße Sommerwochen keine Epidemien, sondern Ozonbelastung mit sich bringen. Überall in den Städten hätte man es mit den langfristigen Folgen des Autoverkehrs zu tun,

1und auch in diesem Fall würden wirtschaftliche Interessen einer gesundheitsfördernden Politik entgegenstehen. Vera Stadie

Die Ausstellung in der Rathausdiele ist bis zum 4. September zu sehen. Über das Veranstaltungsprogramm zum Thema Cholera in Hamburg informiert ein Faltblatt der Gesundheitsbehörde.